sunset, 2021

Judith Fegerl

Auf schiefer Wiesenebene verankert, montiert Judith Fegerl eine archaisch wirkende, offene und gleichzeitig leicht dystopisch erscheinende Struktur, auf der sich unterschiedliche Paneele befinden. Normalerweise als „Verschandelung“ auf Dächern empfunden, entfalten sich die Paneele hier als autonome Statements. In der Neuzusammensetzung und Installation gebrauchter und der Künstlerin überlassener Teile öffnet sich die Thematik des „Second Life“, das optional in den Möglichkeiten der Trennung von Edelmetall und anderen Stoffen oder der Reparatur erscheint. Mit dem Titel sunset verweist Fegerl ganz bewusst auf die Komplexität des technischen Ausdrucks „server sunset“. Der Begriff Server ‒ für das Dienen und permanente Funktionieren stehend ‒ wird hier mit dem romantischen Topos des Sonnenuntergangs gekoppelt.

 

Eine Skulptur aus Photovoltaikpaneelen unterschiedlichen Alters. Eine Skulptur aus Photovoltaikpaneelen unterschiedlichen Alters.

Bildinformationen

Autor*in

 Elisabeth Fiedler, Kurztext adaptiert von Peter Gspandl-Pataki

Planübersicht

Besitzer*in

Universalmuseum Joanneum

Künstler*innenbiografie

Judith Fegerl

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Zum Werk

Auf schiefer Wiesenebene verankert, montiert Judith Fegerl eine archaisch wirkende, offene und gleichzeitig leicht dystopisch erscheinende Struktur, auf der sich unterschiedliche Paneele befinden. Geprägt von unserer Erfahrung, werden wir an Dach- und Hauskonstruktionen erinnert, die üblicherweise als Basis für Fotovoltaik-Paneele dienen.

Auf dem konstruktiven, etwa kniehohen Stahlgestell finden sich neun zum Teil 20 Jahre alte Solarpaneele unterschiedlicher Größe, Produktion und Anwendungsbereiche aus dem Fundus des Forschungsprojekts PVRE2. Recycling und Reparatur von alten PV-Paneelen sind der Forschungsgegenstand dieser Allianz aus Silicon Labs Graz, Montan-Uni Leoben und dem OFI (Österreichisches Forschungs- und Prüfinstitut) in Wien.

Nicht um die Ausformulierung einer Form geht es der Künstlerin, sondern um Sichtbarmachung von Systemen und Verhältnissen, deren Flüchtigkeit und Vorläufigkeit sich eher im Gestus einer hingeworfenen Zeichnung denn als starr positionierte Aussage zur Debatte stellt. Dabei zeigt Fegerl Energiequellen und deren technische, inhaltliche und zeitliche Verläufe, die als grundlegende Errungenschaft technischer Revolutionen verstanden werden, aber gleichzeitig so gut wie möglich versteckt, so unsichtbar wie möglich ihrer dienenden Funktion nachkommen mögen.
So werden die Kehrseiten der „Clean Energy“, nämlich die Probleme von Herstellung und Entsorgung, thematisiert, die in den Paneelen verbliebene Restenergie, die nicht entweichen kann, befragt sowie unterschiedliche Formen, Oberflächen und Formate, Farb- und Materialveränderungen betrachtet. In der Neuzusammensetzung und Installation gebrauchter und der Künstlerin überlassener Teile öffnet sich die Thematik des „Second Life“, das optional in den Möglichkeiten der Trennung von Edelmetall und anderen Stoffen oder der Reparatur erscheint. Im Wissen darum, dass ein Teil des Österreichischen Skulpturenparks einst Mülldeponie war, reflektiert Judith Fegerl den Versuch, Material- und Ressourcenkreisläufe in Gang zu halten.

Unterschiedlich geformte, je nach Entwicklungsstadium runde oder eckige Zellen, die miteinander in Verbindung stehen, erinnern in ihrer ästhetischen Struktur an konstruktivistische und minimalistische Kunstwerke sowie an städtebauliche Überlegungen. Silicium-Zellen durchbrechen dabei geordnete Muster und erzeugen den Effekt von Eisblumen an der Oberfläche. In ihrer Separiertheit und gleichzeitig neuen Zusammenfügung wirken sie kaputt, erzeugen tatsächlich aber immer noch Strom, sind aktive Faktoren. So verbleiben sie in ihrer Aufgeladenheit, vermitteln immer noch Energie, scheinen befreit von jeder dienenden Funktion und stehen für sich selbst.

Normalerweise als „Verschandelung“ auf Dächern empfunden, entfalten sich die Paneele hier als autonome Statements. Dabei interessiert Fegerl weniger ihr gegenwärtiger Zustand als vielmehr die ihnen innewohnende Energie und jenes ungehobene Potenzial, das sie in sich tragen. Fragen nach Ablaufdaten, Reanimation oder Zirkularität, also Fragen nach Zeit, treffen in künstlerischer Neuformulierung auf jene nach Raum, dessen Funktion und Verfügbarkeit.

Technisch-formale Parameter des rechteckigen Formats, in dem runde, eckige, mono- und polykristalline Zellen auf Kunststoffschicht aufgetragen und laminiert werden, sowie der angeordneten Mengen oder der Farbpalette begegnen hier ästhetischen Überlegungen repetitiver Musterstrukturen, die Kontinuität und Unendlichkeit berücksichtigen und in sich tragen.

Architektonische Prinzipien werden dabei ebenso befragt wie die Thematik der Mustererkennung oder wie Einzelpaneele, die an gewebte Teppiche erinnern, deren Produktion meist dem Weiblichen zugeordnet wird. Klassisch ist dies in der Bauhausstruktur ablesbar. Man weiß, dass der Webstuhl die Wiege des Computers darstellt, der wiederum männlich konnotiert ist. Gleichzeitig bilden Zellstrukturen die Basis des Lebens und lassen jede Genderzuordnung als obsolet erscheinen.

In all diesen Aspekten öffnen und verschieben sich anhand dieser Arbeit viele Relationen. Fegerl, die aus dem Bereich der Technologie kommt, nimmt sich die Freiheit intuitiver Zusammensetzung des Gegebenen, setzt die Zellen nicht systematisch, sondern spielerisch aneinander. Den Gegensatz und Zusammenhang von Technik und Emotion/Intuition verdeutlichen auch intensive Blautöne der Paneele.

Mit dem Titel sunset verweist Fegerl ganz bewusst auf die Komplexität des technischen Ausdrucks „server sunset“. Der Begriff Server ‒ für das Dienen und permanente Funktionieren stehend ‒ wird hier mit dem romantischen Topos des Sonnenuntergangs gekoppelt. Verwendet wird dieser euphemistische Begriff in der Wirtschaft, wenn die Produktion am Ende ihrer Fähigkeit und Nützlichkeit angelangt ist und wegen Nutzlosigkeit aus dem Verkehr gezogen wird. Auf jedes der Paneele scheint die Sonne, sie ist Grundbedingung für deren Nutzung, der die „Sunset-Klausel“, ein vorherbestimmtes Verfallsdatum, eingeschrieben ist.

Es sind logische Materialien mit Verschleißspuren, Beweisstücke ehemaliger Energieträger, ihrer Funktion enthoben, die Judith Fegerl für ihre Arbeit anziehen, die sie heranzieht und als neue potenzielle Rohstoffressourcen thematisiert. „Revers“, das Anagramm von „Server“, steht für sie als wichtiger Begriff, der die reversible Beziehung von Kunst und Betrachter*in in Spannung hält.

Fegerl beschäftigt sich also mit dem Darunterliegenden des Sichtbaren, den Tiefenschichten von Architekturen, Räumen, Oberflächen und Landschaften. Dabei unterbricht sie konstruierte Schaltkreise des Denkens und eröffnet neue Perspektiven und Wahrnehmungsmöglichkeiten. Funktionalitäten werden hinterfragt, neue Identitätsstrukturen ermöglicht. Sie thematisiert scheinbare Diskrepanzen wie Technik und Körper, maschinelle Konstruktion und Bewusstwerdung, Organisches und Anorganisches, um sie offenzulegen, gegenüber zu stellen, zu verbinden oder neu zu denken.

Genaueres zu den Hintergründen des Materials finden Sie hier.