Tiger Stealth

Peter Sandbichler, 2009

Die Verbreitung der Fehlinformation, die militante Guerillagruppe Tamile Tiger besäße ein Tarnkappenschiff, war Ausgangspunkt für diese Arbeit Sandbichlers. Wie diese Information ist auch das Tarnschiff hier Fake, denn es ist eine Skulptur. Die Tarnfunktion gelingt trotzdem, denn die Form kann von keinem Radar erfasst werden. Das ist jedoch irrelevant, denn militärische Geheimnisse offenzulegen oder zu kolportieren, ist das eigentliche Mittel, mit dem Macht demonstriert wird. Die Arbeit präsentiert sich somit doppeldeutig: Einerseits in aufgehobener Tarnung, das Objekt als formalästhetisches Gebilde ausweisend, andererseits hat  sich der Prototyp eines Untergrundkampfgerätes als Kunstwerk getarnt.

Die Skulptur in Form eines Tarnschiffes ruht auf der Wiese. Es ist mit beigefarbenen Platten bedeckt und kann aufgrund seiner Form von keinem Radar erfasst werden. Die Skulptur in Form eines Tarnschiffes ruht auf der Wiese. Es ist mit beigefarbenen Platten bedeckt und kann aufgrund seiner Form von keinem Radar erfasst werden.

Bildinformationen

Autor*in

Elisabeth Fiedler, Kurztext adaptiert von Lisa Schantl und Lukas Sperlich

Planübersicht

Besitzer*in

Universalmuseum Joanneum

Künstler*innenbiografie

Peter Sandbichler

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Zum Werk

Mit der Erweiterung des Skulpturenbegriffs seit Beginn des 20. Jahrhunderts, die ausgehend von der Ablösung vom Anthropomorphen in die Polarität von Abstraktion und die Rückkehr des Gegenstandes leitet, werden auch Fragen nach der Autonomie des Materials und die soziale Kontextualisierung des Objektes gestellt. Die Palette reicht von Stein und Bronze bis zu Glas und Beton, von präparierten Gegenständen bis zu vorgefertigtem Industriematerial, vom Einsatz der Grundelemente Wasser, Luft Erde und Feuer bis zum eigenen Körper und dessen Essenzen.

Basierend auf diesem Wissen und ausgehend von einer klassischen Holz- und Steinbildhauerausbildung sowie dem Studium der Neuen Medien entwickelt Peter Sandbichler, geboren 1964 in Kufstein, seit Ende der 1980er-Jahre mit großem Interesse an gesellschaftspolitisch relevanten Fragestellungen eine neue Formensprache. 

Friedrich Kiesler, dessen künstlerische und soziokulturelle Ansätze, „die keine Hierarchie zwischen dem Benutzbaren, dem Nützlichen und dem … als künstlerisch Bezeichneten entstehen lassen wollen“ (Martin Fritz in: Peter Sandbichler, Privat, Living with Sculpture, S. 3, Wien 2008), interessiert Sandbichler insofern, als es nicht das Auratische und Geniale ist, was er forciert, sondern er entwirft seine Arbeit in permanenter Rückkoppelung von bewährten Systemen, medial gespeicherten und im kollektiven Gedächtnis verankerten Bildern unter oftmaliger Einbeziehung des Betrachters.

So geht es um das gegenseitige in Schwebe halten von ausgesuchten objects trouvés allein durch Zug- und Druckkräfte nach dem System von Buckminster Fuller und Kenneth Snelson in seinen Tensegrities, um das Ausloten von verbindenden Variablen und die Fragilität von Systemen, um die allgemeine Adaption historischer Heldenfiguren und Persönlichkeiten, wie beispielsweise Che Guevara oder Anna Politkowskaja, die er in Form von allgegenwärtiger medialer Geprägtheit widerspiegelt, um Öffentlichkeit und Privatheit, Allgemeingültigkeit und individuelle Bedeutung, um das Ganze und die Fragmentierung von Form und Bedeutung sowie die Inanspruchnahme und Interaktion von und mit seinen Skulpturen durch das Publikum.

Egal, ob Sandbichler in klassischer Bildhauertradition Metall treibt, archiviert oder mit Beton, vorgefundenem Material oder Licht arbeitet, stets eröffnen sich die Resultate als Objekte, die in ihren Einzelteilen flexibel erscheinen oder in ihrem Erscheinen als Pixel sowohl analog als auch digital lesbar werden. Grundstrukturen zeichnet Peter Sandbichler auch in Form von Tilings, zweidimensionalen Grundbausteinen, die er in dreidimensionale Skulpturen verwandelt, um architektonische Strukturen, aber auch politisch intendierte Messages verdichtet zu zeigen.

Bezeichnend dafür ist seine Arbeit Hotel Palestine, 2003, in der er die modular aufgebaute modernistische Fassade des gleichnamigen Hotels, vor der im Desaster des zweiten Irak-Krieges alle Journalisten Bericht erstatteten, als Skulptur rekonstruiert. Sandbichler konfrontiert uns mit dieser Arbeit in Form einer fragilen Kunststoffwand mit der Reflexion über Leben und Tod, mit medialer Übermittlung, Wirklichkeitsverweigerung, -verschleierung und gleichzeitig der Herstellung von Wirklichkeit.

In seiner Hinterfragung von Grenzziehungen zwischen Leben und Kunst forciert er die Durchdringung des Alltäglichen mit soziokulturellen, aber auch politischen Impulsen in modularen Strukturen, die jeder gestischen Handschriftlichkeit entgegenwirken. Vielmehr interessieren Sandbichler Systeme und Kollaborationen, aus denen sowohl formale als auch inhaltliche Neubestimmungen von Öffentlichkeiten angesteuert werden. Industriell vorgefertigtes Ausgangsmaterial wird in formgebender Ordnung aneinandergefügt, um als dreidimensionales Resultat auf politische, soziale, öffentlichkeitswirksame oder private Intentionen rückzuverweisen und mediale Einflussnahme zu reflektieren.

So erweist sich auch die Arbeit Tiger Stealth ausgehend von einer Zusammenarbeit mit knowbotic research als skulpturales Ergebnis der Notwendigkeit, militärische Geheimnisse offenzulegen oder zu kolportieren, um Macht demonstrieren zu können. Eine Form, die für das Radar unsichtbar bleibt, bestätigt die imaginäre Effizienz des Kriegsgerätes, wobei das Paradoxon, über eine Geheimwaffe zu verfügen, diese Tatsache aber so breit wie möglich in die Öffentlichkeit zu streuen, von großer Wichtigkeit für Demonstration von Macht ist.

„Knowbotic research“, sagt Peter Sandbichler, „sind in ihrer sehr komplexen Installation von einer Meldung im Internet ausgegangen, wonach die im Norden Sri Lankas agierende militante Guerillagruppe Tamile Tigers behauptet, im Besitz eines Stealth-Bootes zu sein und ein entsprechendes Manöver mit einem kleinformatigen Video dokumentiert. Wir haben diese Anekdote zum Anlass genommen, im Rahmen des Duisburger Akzente Festivals einen Fake zu inszenieren, zu dem unter anderem dieses kleine funktionierende Stealth-Boot gehört. Wir haben es von einem pixeligen Bild aus dem Internet nachgebaut. Es funktioniert wirklich und wird übers Internet zum Verkauf angeboten.“ (Peter Sandbichler in: Peter Sandbichler, Privat, S. 8)

Konkrete Anforderungen, wie z. B., dass kein Winkel steiler als 40 Grad sein darf, um unsichtbar für das Radar zu bleiben oder eine ergonomische Form zu entwickeln, um eine Person darin unterzubringen und die gleichzeitige Entdeckung, dass das Stealth-Boot nicht funktioniert, enthebt dieses nicht seines Mythos, den Sandbichler sichtbar werden lässt. Es zeigt auch das Ergebnis des Gestaltungsleitsatzes „form follows function“, dem Sandbichler präzise nachgeht.

In ästhetischer Schönheit, neuester Materialität, glasfaserverstärktem Beton im modularen System scheint der Bomber nun nicht mehr camoufliert, sondern in der künstlich entworfenen Landschaftsarchitektur gestrandet zu sein. 

In eigenartiger Ambivalenz von Täuschung und Offenlegung, von seiner Bedeutung als Kriegsgerät und nach metamorpher Wandlung als Skulptur präsentiert sich die Arbeit doppeldeutig: Einerseits in aufgehobener Tarnung, wodurch das Objekt als formalästhetisches Gebilde ausgewiesen ist, andererseits hat sich der Prototyp eines Untergrundkampfgerätes getarnt als Kunstwerk in den Österreichischen Skulpturenpark eingeschleust, deutet die Landschaft als unsicheres Gewässer um und verändert und verunsichert unsere Wahrnehmung von Sicherheit und Gefahr, von Natur und Struktur.