In der „Heimat“ fehlten nun die jungen Männer. Sie fehlten bei der Ernte am Land, sie fehlten in den Industriebetrieben, sie fehlten im Transportwesen. Dieser Ausfall an junger, männlicher Arbeitskraft wurde durch Frauen kompensiert. In Graz entbrannte eine Diskussion um Frauen als Schaffnerinnen in der Straßenbahn, also als öffentliche, uniformierte Respektspersonen. Ohne dieses Sichtbarwerden der Frauen in der Öffentlichkeit wäre das Frauenwahlrecht noch länger nicht Realität geworden. Frauen waren keineswegs nur temporäres Substitut am Arbeitsmarkt, viele von ihnen hatten auch nach Kriegsende die Familien zu erhalten, da viele Männer nicht bzw. oft psychisch oder physisch beschädigt aus dem Krieg heimkehrten. Frauen mussten also teilweise die im Krieg übernommene Rolle auch weiterspielen.

Die „Heimatfront“ wurde vorerst als unterstützend angesehen. Es ging darum, die materielle Basis für den Krieg zu sichern und der Fürsorge die benötigten Mittel zur Verfügung zu stellen, um die Witwen und Waisen gefallener Krieger materiell soweit absichern zu können, dass der Tod noch als „Heldentod“ interpretiert werden konnte.

Eine Besonderheit, die dafür entwickelt wurde, waren die sogenannten „Kriegsnagelungen“. Sie gehen zurück auf die alte Wiener Erzählung vom „Stock im Eisen“, wo das Einschlagen eines Nagels symbolisch den Weg aus der Leibeigenschaft in die Freiheit verkündete. Nun standen hölzerne Wehrmänner, Tische, Schilde, Wappen in festlichem Rahmen bereit: Gegen eine Spende durfte man einen Nagel ins Holz schlagen, auch als Symbol, in einer „Eisernen Zeit“ zu leben. Bis zum Sommer 1916 soll es schon rund 700 solcher Nagelungen auf dem Gebiet des heutigen Österreich gegeben haben. Die Steiermark fügte sich hier gut ein. Vor allem der steirische Landsturmmann, festlich enthüllt und freigegeben, erlangte Symbolstatus.
Für die Männer an der Front wurde gesammelt, es wurden aber neben Feld- auch Liebesgaben für die Front bereitgestellt. Weihnachtsbäumchen, um die ersten Weihnachten „im Felde“ für die Männer mit einer sentimentalen Bindung an die „Heimat“ ertragbarer zu machen, Geschenkkassetten, Zigarettenetuis und vieles mehr.
Die Bewältigung des Alltags an der Heimatfront war nicht einfach. Knappheit, ja Not machte sich breit. Von den offiziellen Lebensmittelkarten konnte man kaum überleben. „Hamsterfahrten“ aus den Städten ins Umland (die Grazer Mittagszeitung stand gänzlich auf der Seite der Hamsterer gegen die „satten“ Bauern), Schwarzmarkt, Tausch von Naturalien etc. waren Überlebensstrategien.
Man griff auf Ersatzstoffe und auf Resteverwertung zurück. In Wien standen Menschen mit langen Stangen am Donaukanal, um Fettaugen, die von der Geschirr-Reinigung zurückblieben, herauszufischen und wiederzuverwerten. Das erhoffte Getreide aus der Ukraine blieb nach dem Frieden von Brest-Litowsk für die Alpenländer aus. So wurden die Wälder geplündert, Eicheln für den Ersatzkaffee gesammelt, Kleinstgärten betrieben.
Auch Schulunterricht und Erziehung waren auf den Krieg ausgerichtet: Kriegsspielzeug, die Uniform bereits als Kleidung der Kleinsten, patriotische Sprüche, umgeschriebene populäre Kinderbücher – all das wirkte schon im Vorschulalter. Selbst der Kasperl zog in den Krieg.
In der Schule hatte der Unterricht vor allem die Aufgabe, die Heimatfront zu stärken. Zeichnungen von Schulkindern sind Dokumente für die Konstruktion von Feindbildern und für die Heroisierung der eigenen Kämpfer an der Front. Zahlreiche Aufsätze, auch von Mädchen, zeigen die gleiche Zielrichtung: Es galt, ein „Heldenmädchen“ zu werden oder Strategien vorzuschlagen, wie denn der Sieg zu erringen sei.
Um dem Hinterland zu verdeutlichen, wie es an den Fronten aussah, gab es in Wien und Graz große Ausstellungen dazu. Am Feliferhof wurden Schützengräben nachgebaut – die eigenen und die der Feinde – und gegen Eintritt konnte man diese Stellungen besichtigen. Aus den Gesichtern der Besucherinnen und Besucher spricht Neugier und Kriegsvoyeurismus, „Krieg schauen“ erfreute sich großer Beliebtheit und war wohl auch ein Nervenkitzel.
Dazu kamen große Ausstellungen mit Beutewaffen, etwa im Grazer Landhaushof. Es sollte gezeigt werden, wie sehr man den Gegnern zusetzte und Schaden zufügte, wie überlegen die eigenen Kämpfer an der Front agierten. So sollte der Krieg an der Heimatfront emotional mitgetragen, das Schicksal an der Front nachvollzogen und die materielle Unterstützungsfreude gesteigert werden. Vor allem aber ging es darum, die Anfangseuphorie, mit der man den Krieg begrüßt und die eigenen Soldaten ins Feld verabschiedet hatte, zumindest teilweise aufrechtzuerhalten und so ein Gegengewicht zur hereinbrechenden materiellen Not zu schaffen.
Museum für Geschichte
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