18. Mai 2020 / Barbara Steiner

Verzweiflungstat oder längst fällige Verlagerung der Aktivitäten?

Kunsthaus Graz

#KunstimNetz: Digitale Kulturangebote, wohin man schaut. Selbst Kultureinrichtungen, die bislang nicht durch besondere Nähe zu digitalen Kulturen aufgefallen sind, rüsten sprichwörtlich auf: virtuelle Rundgänge durch Sammlungen, Online-Kunstvermittlung, digitale Kunstprojekte. Der Auszug der Kultur (und Kunst) ins Netz scheint unausweichlich. Was würde ein solcher Umbau bedeuten? Katrin Bucher (KB), Martin Grabner (MG), Katia Huemer (KH), Elisabeth Schlögl (ES), Barbara Steiner (BS), Anita Brunner (AB) äußern sich bis zur Wiedereröffnung des Kunsthauses wöchentlich über Digitalisierung im Kulturbereich, Chancen und Risiken.

KH: In den letzten Wochen, in denen die Welt nach einer Vollbremsung des sich immer schneller drehenden Hamsterrads stotternd zum Stillstand gekommen ist, war ein regelrechtes Überangebot an kulturellen Online-Aktivitäten zu bemerken. Fast könnte man meinen, Langeweile und Sinnentleerung – Gefühle, die offenbar all jene einholen müssen, die ihre eigenen vier Wände nicht verlassen sollen – seien die vorherrschende Symptomatik der Krisenzeit.

BS: Hat es nicht vielleicht auch mit Legitimation zu tun? Präsenz zu zeigen und zu demonstrieren, dass man in Zeiten wie diesen als Institution „wichtig“ ist, angetrieben von der Angst, zu verschwinden? Ich sehe durchaus einen Wettbewerb unter den Institutionen. Die Sorge des Verschwindens scheint nicht ganz ungerechtfertigt. Der Kunstkritiker Jörg Heiser sprach im Deutschlandfunk in Zusammenhang mit den Online-Aktivitäten der deutschen Institutionen sogar von einer „Verzweiflungstat“.

KB: Vieles geschieht aus einer Angst heraus, nach der Krise als nicht systemrelevant zu gelten – übrigens spekuliere ich damit, dass „systemrelevant“ das Unwort des Jahres 2020 wird – und demnach auch offiziell als wegreduzierbar zu gelten. Es ist nicht das erste Mal, dass die Kultur in Zeiten der Krise finanziell zurückstehen muss. Ich bin mir auch sicher, dass diese Angst der Kulturinstitutionen allgemein nicht ganz von der Hand zu weisen ist. Wir alle sehen, wie viel Geld der Staat gerade ausgeben muss, und wissen, dass er das auch wieder an anderer Stelle eintreiben wird. Sich selbst also in den digitalen Welten sichtbar zu machen, könnte tatsächlich einmal sehr relevant sein. Wie aber und womit man sich äußert, das ist auf jeden Fall der springende Punkt.

Performance Homework nimmt die Idee, Privatwohnungen als Bühne zu nutzen, auf und ersetzt den Aspekt der Begegnung und gemeinsamen Erfahrungen durch ein individuelles Erkunden der eigenen vier Wände.

Performance Homework nimmt die Idee, Privatwohnungen als Bühne zu nutzen, auf und ersetzt den Aspekt der Begegnung und gemeinsamen Erfahrungen durch ein individuelles Erkunden der eigenen vier Wände.

MG: Ich denke, was wir derzeit weltweit auf den Onlinekanälen der Kunstinstitutionen sehen, ist zum überwiegenden Teil eine Verlagerung der Vermittlung und (Re-)Präsentation von Kunst ins Netz; der Versuch, Ausstellungen, die aus physischen Werken für einen physischen Raum konzipiert wurden, online zugänglich zu machen, sie trotz der Schließung dieser physischen Räume zu verwerten, sie für die hoffentlich bald erfolgende Wiederöffnung „anzuteasern“. Doch diese Aktivitäten können nur ein temporärer Ersatz und eine langfristig angelegte, bisher oft vernachlässigte Ergänzung zur Präsentation und Vermittlung im physischen Raum sein, denn solche Werke und besonders räumlich komplexe Ausstellungen verlieren in der virtuellen Simulation zwangsläufig ihre einzigartige Aura.

Kategorie: Kunsthaus Graz
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