30. Juni 2015 / Anita Niegelhell

Texte suchen Landschaft und Landschaft wird Text!

Volkskundemuseum

Landschaft steht nicht fest, sie ist vergänglich, veränderlich. Wenn eine Stadt wächst und sich ausdehnt, entstehen Zwischenlandschaften, die diese Vergänglichkeit abbilden und das Wachsen vorübergehend sichtbar werden lassen.

 

Foto: Manfred Omahna

Foto: Manfred Omahna

Landschaft in der Stadt? Landschaft in Veränderung!

Der Südgürtel wächst, von den meisten unbemerkt, nur manche kommen und schauen. Abgesehen von denen aber, die direkt mit der Baustelle zu tun haben oder in ihrer Nähe wohnen, fällt ihnen nur der geänderte Straßenverlauf auf und das aufgeschüttete Aushubmaterial. Die Werkzeuge der Bautrupps allerdings sind groß und weithin sichtbar, auch abseits der Baustelle. Und doch fahren viele an dieser eindrucksvollen, temporären Landschaft vorbei – nur ein kurzer Blick, auf dem Weg in die Arbeit oder nach Hause. Der Kreisverkehr und die Schotterberge sind bald gewöhnlich geworden.

 

Foto: Manfred Omahna

Foto: Manfred Omahna

 

Eine Gruppe von Kulturanthropologinnen und -anthropologen beobachtet und beschreibt, wie sich die Baustellenlandschaft in die Grazer Stadtlandschaft im Süden gräbt. Am Grazer Südgürtel waren sie mit ihren ethnologischen Werkzeugen unterwegs. Sie haben Eindrücke und Bilder, Irritationen und Erfahrungen gesammelt. Und sie sind auf die Werkzeuge, die eine der größten Baustellen des Landes in Betrieb halten, gestoßen: Unaufhörlich arbeiten die Bautrupps: Ladung um Ladung wird Beton in den Schalungswagen gekippt, wächst der Tunnel, wächst die Straße, wachsen die temporären Schotterberge rundum und erzeugen bizarre Landschaften. Voller Poesie auf den zweiten Blick. Die „Bautätigkeit“ schlägt eine Schneise mitten in besiedeltes Gebiet und stellt sich doch den Menschen, die damit eine begrenzte Zeit leben.

Was unbemerkt unter und neben dem Alltäglichen läuft, war für Kulturanthropologinnen und -anthropologen schon immer interessant. Sie arbeiten anders als die Bautrupps, brauchen keine großen Laster, keine Walzen, nicht tonnenweise Material. Sie nutzen ihre auf Unterschiede und Veränderung geschärfte Wahrnehmung und schauen dort genau hin, wo die meisten nur vorbeifahren. Ihr Material ist das, was sie sehen und beobachten.

In einem Projekt des Instituts für Kulturanthropologie treffen diese beiden Zugänge für einen Moment aufeinander. Aus dieser Konfrontation entsteht Reibung. Eine derart produktive Reibung allerdings, dass daraus Texte wachsen, die in einer öffentlichen Lesung am 2. Juli im Rahmen des Landschaftsschwerpunktes des Joanneums im Grazer Volkskundemuseum präsentiert werden.

 

Foto: Manfred Omahna

Foto: Manfred Omahna

 

Die Texte sind gerade im Entstehen und es bleibt spannend, was am Ende von dieser großen Baustelle erzählt werden wird, welche Eindrücke – weil sie Text geworden sind – bleiben werden, auch wenn die Baustelle längst Geschichte ist. Wenn die Landschaft, wie es der Plan vorsieht, wieder begrünt, der Tunnel seiner Funktion übergeben und der Verkehr unter die Erde verlegt sein wird. Das Leben vor Ort, über dem Tunnel – der dann nicht mehr sicht-, nicht mehr begeh-, nur mehr durchfahrbar ist, wieder seinen beschaulicheren Bahnen folgen kann. So wie in der Zeit, als es den Tunnel und seine riesengroße Baustelle nicht gab.

 

Das Volkskundemuseum, das Haus der Architektur, das Institut für Kulturanthropologie laden herzlich zur Präsentation!

Kategorie: Volkskundemuseum
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