Foto: Michael Sladek

27. April 2017 / Barbara Steiner

Filmdreh in Zwentendorf

Kunsthaus Graz

Am 19. April kamen Koki Tanaka und sein japanisches Filmteam, Hikaru Fujii, Shinya Aoyama (Kamera) und Ryota Fujiguchi (Sound) in Graz an. Vor Ort trafen sie sich mit Constantin Lederer, Stanislaus Mörth und Sebastian Morré, den drei Mitgliedern des österreichischen Teils der Filmcrew, und bereiteten den Dreh für die kommenden Tage vor.

Gemeinsames Gstanzl-Schreiben

(Gstanzl = knapp gefasster Spottgesang in Mundart)

Am 21.4. wurden 11 Teilnehmende dabei gefilmt, das Gstanzl Der Atomstrom der Agitprop-Gruppe Graz zu aktualisieren und ins Heute zu übersetzen. Die Aufgabe beinhaltete auch einen Sprachwechsel vom Österreichischen ins Englische. Dies hatte zwei Gründe: Einerseits ist die englische Sprache nahezu weltweit verbreitet, andererseits hilft sie, zwischen den älteren und jüngeren Teilnehmenden zu vermitteln. Beteiligt waren Protagonistinnen und Protagonisten der Anti-Atomkraft-Bewegung aus den späten 1970er-Jahren sowie Schüler/innen des BG/BRG Kirchengasse.

Mit dieser Entscheidung konnte auch eine Balance innerhalb der Gruppe hergestellt werden: Wissen und Erfahrung der älteren Teilnehmenden verbanden sich mit sprachlicher Versiertheit und größerer Workshop-Erfahrung der Jüngeren. Mich bat Koki das Geschehen aufmerksam zu beobachten und zu protokollieren. Magda Reininger und Elisabeth Schlögl sorgten von Seiten des Kunsthauses für einen reibungslosen Ablauf des Drehtages, der perfekt vorbereitet war.

Die Beteiligten bewegten sich im Verlauf von vier Stunden aufeinander zu. Zunächst erzählten die Aktivistinnen und Aktivisten von damals von ihren Erfahrungen und Erlebnissen, Fotoalben wurden herumgereicht, das Gstanzl von damals gespielt, gesungen und dann ins Englische übersetzt. Diese Aufgabe übernahmen zwei der jungen Teilnehmer/innen. Nach und nach machte sich die Gruppe daran, die ersten Strophen ins Englische zu bringen und neue hinzuzufügen. Tatsächlich entstand nach und nach, auch entgegen der ursprünglichen Erwartungen der Teilnehmenden, aus dem österreichischen Gstanzl ein neuer Protest-Song in englischer Sprache.

Hier der Refrain:
„No nuclear powerplant hoolarido
Nowhere from now to eternity“

Vor dem und im Atomkraftwerk

Am 22.4. fuhren wir mit dem Bus von Graz nach Zwentendorf. Weitere Interessierte schlossen sich uns an; sechs Personen kamen mit eigenem Auto aus Wien.

Auf dem Weg dahin passierten wir eine Reihe von Dörfern, die einem nochmals klarmachten, dass man das Atomkraftwerk damals tatsächlich mitten in die österreichische Normalität hinein geplant hatte.

Hikaru und Shinya filmten bereits im Bus und aus dem Bus hinaus. Da der Platz begrenzt war, bedeutete das Filmen im Bus eine Herausforderung: Hikaru, Shinya, Ryota, Koki und einer der Assistenten, der versuchte, eine Deckenklappe des Busses am Klappern zu hindern, teilten sich zeitweise zirka einen Quadratmeter. Hikaru stand meist mit dem Rücken zum Fahrer, sodass ich mir an jedem Kreisverkehr und bei jedem Bremsmanöver Sorgen um ihn machte.

An diesem Tag erhielten wir – wie die Teilnehmenden am Tag davor, diesmal allerdings in Zettelform – erneut Koki Tanakas „Instruktionen“:

Join the conversation next to you, think of the difference between the division of labour and collaboration, think of the mix of antagonism and togetherness

Nach einem gemeinsamen Mittagessen, das freundlicherweise die EVN sponserte, und dem Anschauen von Material zu 30 Jahre Zwentendorf, einer Wanderausstellung, die Leopold Buchner mitbrachte und kurzerhand mit den anderen Protagonistinnen und Protagonisten von damals aufbaute, entstanden zunächst Aufnahmen außerhalb des Atomkraftwerks. Mehrmals wurde der neu geschriebene Protest-Song gespielt und gesungen, um aus verschiedenen Perspektiven filmen und Tonaufnahmen machen zu können.

Foto: Michael Sladek

Elisabeth Schlögl, Assistenzkuratorin am Kunsthaus, war unsere Heldin des Tages, als sie quer über einen Acker sprintete und einen Bauern davon überzeugte, mit seinem Traktor eine einstündige Pause einzulegen, um den Filmdreh nicht zu stören.

Foto: Michael Sladek

Danach ging es in das Innere des Gebäudes, in dem eisige Temperaturen herrschten. Es wurden sowohl im Kontrollraum, im Reaktorkern und außerhalb Aufnahmen gemacht. Zum Abschluss performte die Gruppe – diesmal im obersten Stockwerk des Kraftwerks, dort wo einst der Reaktordeckel aufgesetzt werden sollte.

Foto: Barbara Steiner

Aus meiner Beobachterinnen-Perspektive kann ich sagen, dass die Gruppe im Laufe von nur zwei Tagen tatsächlich zusammengewachsen ist.

Der größte Unterschied liegt wohl darin, dass von einigen älteren Teilnehmenden immer wieder betont wurde, dass es bei ihrem damaligen und heutigen gesellschaftspolitischen Engagement um Aufklärung, um das Aufdecken von Lügen und damit um Wahrheit ginge. Bei den Jüngeren stand weniger Konfrontation, sondern mehr der gesellschaftliche Diskurs auch mit Andersgesinnten im Vordergrund. Es wurden Zweifel formuliert, ob „Wahrheit“ immer so klar zutage trete.

Foto: Michael Sladek

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