Günther Holler-Schuster (links) und Erwin Wurm, Foto: Universalmuseum Joanneum/N. Lackner

24. März 2017 / Monika Holzer-Kernbichler

Erwin Wurm, Monika Holzer-Kernbichler und Günther Holler-Schuster im Gespräch

Kunsthaus Graz

Seit gestern Abend ist die Ausstellung "Erwin Wurm. Fußballgroßer Tonklumpen auf hellblauem Autodach" im Kunsthaus Graz zu sehen. Über 650 Kunstinteressierte strömten zur Eröffnung, um "Weltraumschwitzer", "Wortskulpturen" und Co erstmalig zu erleben, die noch bis 20.08. im Space01 zu sehen sind. Im Vorfeld der Ausstellung sprachen Monika Holzer-Kernbichler (Leiterin der Kunstvermittlung) und Günther Holler-Schuster (Kurator) mit Erwin Wurm über Graz, Paradoxien und die Wurstsemmel auf der Wortruba-Skulptur. Das Interview fand am 3. Februar 2017 in Wien statt.

GHS: Das Kunsthaus Graz scheint ideal zu sein für die Kunst von Erwin Wurm. Du bist ja auch aus Graz – ist Graz ein besonderer Ort für dich?

EW: Graz ist meine Kindheitsstadt, dort habe ich auch als Künstler begonnen. Dazu finde ich das Kunsthaus architektonisch interessant. Dieser Alien, das Raumschiff in der alten Barock- oder Renaissance-Dachlandschaft. Innen ist es sehr schwer. Aber sehr schwere Bedingungen können auch herausfordernd sein.

Interview, Foto: Katia Huemer

GHS: Ich kann mir das Innere – vor allem die oberste Etage, den Space01 – sehr gut als Skulptur vorstellen

EW: Ja eh, man kommt rein und hat das Gefühl, man ist in einem schwarzen Loch. Das ist doch schon mal schwierig, weil der Raum sich natürlich leichter definiert, wenn man das Ende des Raumes sieht, wahrnimmt, begreifen kann. Nur, da scheint kein Ende zu sein, weil alles schwarz ist. Das verunsichert zunächst. Das ist fast so als würde man ein Foto einer Skulptur ausschneiden und dann auf weißes Papier kleben. Dadurch kann sich die Dreidimensionalität nicht richtig entwickeln, weil sie ja in keiner Relation steht zu einem Anfang und einem Ende eines Raumes. Im Kunsthaus empfinde ich es auch so.

Ansicht “Erwin Wurm”, 2017, Foto: Universalmuseum Joanneum/N. Lackner, © Bildrecht, Wien 2017

GHS: Die Grundgedanken dieser Architektur sind also im Wesentlichen im Skulpturalen, im Performativen, Beweglichen und im Organischen. Das sind Elemente, die auch in deinem Werk zentral sind. Wenn man zum Beispiel den großen Pullover, den Weltraumschwitzer, nimmt, der durchaus vom Körperlichen kommt: Er ist ein Kleidungsstück, trotz seiner Monstrosität. Diese Dimensionierung macht etwas mit dem Raum.

EW: Der Pulli ist eine ideale Sache, weil er durch den Farbkörper, der er ja auch ist, und durch die Art, wie er sich durch den Raum schlängelt, den Raum bestimmt. Er schafft also Definitionen für den Raum und bildet dreidimensionale Koordinaten.

MHK: Das heißt, der Pullover wäre ohne den Raum gar nicht entstanden, der Raum hat diese Arbeit in gewisser Weise provoziert. Ist auch die Figur von Josef Pillhofer eine Arbeit, die für diesen Raum in dieser Größe entstanden ist? Um sich dem skulpturalen Innenraum des Kunsthauses zu widersetzen?

EW: Die Figur von Pillhofer ist ja klein, in Wahrheit. Wir haben uns die Freiheit genommen, sie groß zu machen, damit sie sich behauptet und sozusagen ein Postulat aufstellt.

Erwin Wurm, “Kletterskulptur”, 2016,
Styropor, Klettergriffe, 398 × 110 × 125 cm, Courtesy Studio Erwin Wurm, Foto: Universalmuseum Joanneum/N. Lackner, © Bildrecht, Wien 2017

GHS: Deine Kunst macht durch Humor und Paradoxie den Eindruck, subtil, subversiv oder bis zu einem gewissen Grad sogar widerständig zu sein.

EW: Der Begriff Paradoxie beschreibt in diesem Zusammenhang sehr genau was ich will. Paradoxie ist ein Befund oder ein Einstellung, die der allgemein – erwartenden und vorherrschenden Meinung zu widerläuft. Gleichzeitig führt die Untersuchung dieser Paradoxie zu einem tiefem Verständnis der Begriffe, Situationen, Handlungen etc. Was wiederrum den Widerspruch auflösen sollte. Der Begriff „Humor“ hingegen beschreibt nur die Reaktion auf paradoxe Situationen, Begegnungen etc. Dadurch wird das Lachen in den Mittelpunkt gerückt, was das Ganze aber nur fälschlich verkürzt.

GHS: Ist es ein Moment des allgemeinen Scheiterns, der oft in deinem Werk thematisiert wird?

EW: Wenn man den Widerspruch als Scheitern sieht, ja.

GHS: Nicht umsonst sind deine Pullover durchaus als psychische Bedingtheiten zu lesen.

EW: Manchmal auch das.

GHS: Ist der große Pullover – ähnlich wie das Fat Car oder das Fat House – eine sprachliche Übersetzung dessen, was vielleicht emotional vorhanden ist? Eine Stimmung des Monströsen?

EW: Ein Abbild einer monströsen Welt, die immer radikaler ihre Monstrosität zur Schau stellt.

MHK: Bezogen aufs gesamte Werk ist für mich eine Arbeit ein wichtiges Sinnbild: ein Auto, das kurz vor dem Kippen ist. Es sieht simpel aus, ist in Wahrheit aber sehr aufwendig und doch unspektakulär, wie ein Matchbox-Auto, auf das man draufgestiegen ist. Der Moment kurz vor dem Kippen. Wie macht man so einen Moment greifbar?

EW: Ein scheinbar ganz einfache Angelegenheit, die nicht von der Schwierigkeit ihrer Entstehung preisgibt. Ein typisches Paradoxon.

Erwin Wurm, “Ohne Titel”, 2016, (unter Verwendung von: Fritz Wotruba, “Liegende Figur”, 1953),
Foto: Universalmuseum Joanneum/N. Lackner, © Bildrecht, Wien 2017

MHK: Wie wichtig ist eigentlich die Definition von Skulptur für das Erfassen dessen, was in deinem Werk alles enthalten ist?

EW: Für mich sehr wichtig, weil sich das Interesse am Begriff des Skulpturalen von Anfang an durchzieht. Im Grunde genommen haben mich Institutionen oder der architektonische Raum in dem Zusammenhang nie interessiert. Institutionskritik fand ich immer entsetzlich langweilig.

MHK: Ich habe bei dieser Frage eher an Duchamp gedacht, wo der institutionelle Rahmen Bedingung ist, dass das Pissoir zum Kunstwerk wird. Spielt es eine Rolle, ob der Pullover mit Gebrauchsanweisung in einem Museum ist?

EW: Ich würde nicht sagen, dass der institutionelle Rahmen ausschlaggebend ist, sondern das Verständnis, dass es sich um ein Kunstwerk handelt. Es braucht den Willensakt, der die Schaufel oder das Rad oder den Mr. Matt zum Kunstwerk erklärt. Ohne ihn ist es ganz etwas anderes.

MHK: Und der Übergang vom Performativen zum Skulpturalen und zurück?

EW: Das hat mit meinen Versuchen zu tun, mich in der Welt des Skulpturalen zurechtzufinden – was ist das, der Weg vom Zwei- ins Dreidimensionale? Dann, von der Bewegung zum Stillstand. Wenn ich da stehe, gerade, was ist das? Ist das eine Aktion? Ist das eine Skulptur, kann es zur Skulptur werden oder nicht? Mit solchen Fragen habe ich mich viel beschäftigt, um mir das Metier, mit dem ich zu tun habe, zu erarbeiten.

GHS: Du wolltest ursprünglich Maler werden, hast dich also zunächst mit dem Zweidimensionalen beschäftigt und so ist es plausibel, dass du zuerst einmal für dich definiert hast, was überhaupt Skulptur ist und wie die entsprechenden Funktionsweisen aussehen.

EW: Ich hab die Aufnahmeprüfung in Salzburg gemacht. Dort bin ich als Maler angetreten und man hat mich in die Bildhauerei gesteckt. Ich war ratlos. Mit der Maturaklasse waren wir in Wien, im damaligen 20er Haus, und da haben wir diese dunklen, schwarzen, langweiligen Körper gesehen – Bronzeskulpturen … alles trostlos. Da habe ich Pop-Art und so weiter noch nicht gekannt. Skulptur war damals für mich einfach nur trostlos. Und ich habe mir gedacht: Was mach ich damit!?

>> Das gesamte Interview können Sie in der Ausstellungspublikation nachlesen.

Die Ausstellungspublikation

Kategorie: Kunsthaus Graz
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