Ich beim Nähen bei der Stoffwerkstatt, Foto: UMJ/ A. Trost

28. April 2017 / Barbara Ertl-Leitgeb

Ein roter Faden

Kunst- & Naturvermittlung | Kunsthaus Graz

Wie der Name BIG WIRBEL schon vermuten lässt, ist er erstens keine Kleinigkeit und zweitens eine Sache, die Bewegung impliziert. Monika Holzer-Kernbichler und ihr engagiertes Team haben mit Herzblut das 2,5-Tage-Festival zum Thema „Strich und Faden“ umgesetzt und mehr als 3.000 Menschen die Freude am Gestalten und die Auseinandersetzungen rund um das Textile näher bringen können. Begleiten Sie mich auf den Stationen meiner Tour durch das Programm! Persönliche Erfolgserlebnisse inklusive.

BIG WIRBEL im Kunsthaus Graz, Foto: UMJ/Barbara Ertl-Leitgeb

Zuerst die Theorie und dann die Praxis

Man muss über das Textile reden! war das Motto am Freitagabend. Wo ist die Grenze zwischen Mode, Design und Handwerk und wann beginnt etwas, bereits Kunst zu sein? Wo löst sich Mode auf, weil die Löcher in der Kleidung immer spektakulärer werden? Das sind Fragen, die uns zu Recht beschäftigen, weil Mode auch als Spiegel der Gesellschaft gelesen werden kann.

Meine Entdeckung des Abends: Besonders deutlich zum Ausdruck gebracht hat diesen Zusammenhang Viktoria Taucher am Beispiel der künstlerischen Arbeit von Hussein Chalayan, einem britischen Modeschöpfer türkisch-zyprischer Herkunft, der auf beeindruckende Weise die Grenzen zwischen Mode, Kunst, Performance und Design auflöst und darüber hinaus auch noch gesellschaftlich relevante Problemstellungen wie die Migration in seiner Arbeit Afterwords 2001 inszeniert hat.

Die Themen zur Diskussion am Freitag, Foto: UMJ/Barbara Ertl-Leitgeb

Prozess und Perspektive

Das 2. Kolleg der Modeschule Graz zeigte uns den Arbeitsprozess, wie aus Entwürfen ein fertiges Kleidungsstück entstehen kann.

Das 2. Kolleg der Modeschule Graz beim Zeichnen, Foto: UMJ/Barbara Ertl-Leitgeb

Ebenso eindrucksvoll veranschaulichten Migrantinnen und Migranten aus 10 Nationen, die als Künstler/innen-Kollektiv im KLEIDERWERK der Werkstadt Graz im Rahmen eines Kunstprojektes an einem Auftrag arbeiteten. Alle Arbeitsschritte werden in einer Produktionsstätte umgesetzt – von der konzeptionellen Arbeit, dem Zuschnitt, über das Heften, Nähen, Bügeln bis hin zur Anprobe einer Uniform.

Die Produktion beim KLEIDERWERK, Foto: UMJ/Barbara Ertl-Leitgeb

Meine Beobachtung in beiden Stationen ist: Ein wesentlicher Teil des Lernens voneinander ist der persönliche Erfahrungsaustausch untereinander. Dadurch können sich neue Perspektiven eröffnen.

Hauptsache gut behütet

Als leidenschaftliche Hauben-Trägerin kokettiere ich zwar immer wieder mit Kopfbedeckungen der anderen Art, aber beim Besuch von Christine Rohr haben sich völlig neue Möglichkeiten aufgetan. Die letzte Meisterin für Modellmodisterei in der Steiermark lebt selber vor, wie man sein Haupt kunstvoll ins Zentrum der Aufmerksamkeit bringt. Damit es besonders gut gelingt, seine Kreativität in die Praxis umzusetzen, ist eine intensive Kenntnis des Handwerkes erforderlich. Daher zählt es zu den größten Anliegen von Christine Rohr, die Ausbildung von Modistinnen und Modisten weiter gewährleisten zu können. Mit feinster Raffinesse zauberte sie schließlich auch aus meinem alten Schal einen schicken Turban und ich bin inspiriert, dem Sommer „gut betucht“ die Stirn zu bieten.

Kopfbedeckungen vom Feinsten: Christine Rohr zeigte uns die Kunst des Turban-Bindens, Foto: UMJ/Wanda

Auch Karin Krahl-Wichmann von der letzten alten, noch in Graz produzierenden Hutmanufaktur Kepka erzählt von einem derzeit großen Interesse an Hüten sowie am handwerklichen Können. Als zeitgeistige Hutform stellte sie hier das Modulsystem des „Zip-Hutes“ vor, der auch als Cabrio-Variante getragen werden kann. Dass ein Sulmtaler Hut nach 200 Jahren noch immer in einem so guten Zustand sein kann, spricht zwar von selbst für die Qualität des handwerklichen Produktes und beeindruckt mich dennoch.

Der Zip-Hut der Hutmanufaktur Kepka, Foto: UMJ/Barbara Ertl-Leitgeb

Endlich ran an den Stoff!

Kreativität als Ausdruck der eigenen Individualität, lautet mein persönliche Credo. Ein Glück, dass meine Kinder auch Lust am Gestalten haben. Heike, Loni und Marta zeigten eine Engelsgeduld, wenn es darum ging, jüngeren und auch reiferen DIY-Begeisterten unter die Arme zu greifen, um aus alten T-Shirts neue Kreationen zu nähen.

Fazit, einen Tag und 3 Stunden später: Die Zeit vergeht beim Nähen viel schneller als normalerweise! Dafür ist meine Familie jetzt um eine limitierte Kuschelpolster-Edition reicher und ich bin stolze Besitzerin eines „neuen“ Turnleiberls  – zufällig farbig passend zu den ertauschten Beinlingen. Welch ein Glück, dass ich in der Stoffwerkstatt eine Wendetasche nähen durfte, in die alles reinpasst.

Spaß am “pim up your T-Shirt”, Foto: UMJ/Barbara Ertl-Leitgeb

Tausch-Kleider-Tausch

Es hatte sich gelohnt, noch einen prüfenden Blick in den eigenen Kleiderschrank zu werfen, um betagten Kleidungsstücken, die schon lange keine Sonne mehr gesehen haben, in den Kreislauf des Modezirkus zu bringen, wo sie anderen Menschen noch guten Nutzen und Freude bereiten können.

Die Erfolgsmeldung dazu: Für meine zu rote Hose und einige sehr klassische Hemden bekam ich tadellose Jeans ganz ohne Löcher und eine „neue“ Turnhose.

Schicke Kleider zum Tauschen beim Modezirkus, Foto: UMJ/Barbara Ertl-Leitgeb

Kette oder Schal?

Das ist hier die Frage. Beim heidenspass zeigte Andrea Stadlhofer mit einer Gruppe Jugendlicher, wie man mit sehr einfachen Möglichkeiten und wenigen Handgriffen tolle Accessoires kreieren kann: Der aus T-Shirt-Streifen geschlungene Hals- und Armschmuck ist nicht nur ein Hingucker, sondern trägt sich auch noch besonders angenehm.
Auch wenn ich es schon länger selbst so praktiziere, erfreut es mein Herz immer wieder aufs Neue, wenn ich sehe, dass die Qualität von alten, vielleicht sogar kaputten Dingen erkannt wird und anstatt diese wegzuwerfen liebevoll zu neuen Produkten recycelt werden.

Ein “heidenspass” beim Ketten-Knüpfen, Foto: UMJ/Barbara Ertl-Leitgeb

Dass Stricken durchaus auch eine meditative Qualität mit sich bringt, rede ich mir spätestens dann ein, wenn ich nach mehreren Stunden die zwischenzeitlichen Phasen des Verwerfens und Neuorientierens absolviert habe. Umso beglückter war ich, als ich mit einem Computerprogramm mein persönliches Strickmuster unter Anleitung der Textildesignerin Veronika Persché entwickeln durfte.

Dass die Strickexpertin, die Auftragsarbeiten für heimische und internationale Kreative und Künstler/innen wie etwa Erwin Wurm strickt, auf ihrer digitalen Strickmaschine unter Mithilfe einer reizenden Assistentin auch noch mein Käfer-Muster gestrickt hat, war mir eine ganz persönliche Freude. Mit Spannung werde ich verfolgen, was aus dem langen, bunten Schal mit den vielen Mustern wird, an dem ich auch mitwerkeln durfte.

Veronika Persché mit “meinem” Käfer-Muster, Foto: Barbara Ertl-Leitgeb

Feine Nadel-Stiche in der Needle

Präzision ist für Elisabeth Gschiel ein wesentlicher Aspekt ihrer Arbeit. Die ausgebildete Grafikerin und Architektin „zeichnet“ mit der Nähmaschine auf Papier und Folie zarte vegetabile Formen und vielschichtige Räume. Besonders ausdrucksstark betreibt sie Ahnenforschung, wenn sie mit feinen Goldfäden Porträts bestickt, welche den Verblichenen einen „ewigen“ Glanz zu verleihen scheinen.

Elisabeth Gschiel zeichnet mit der Nähmaschine, Foto: UMJ/Barbara Ertl-Leitgeb

Auch Lisa Reiter mag das genaue Arbeiten. Sie zeichnet mit zarten Fäden und näht Körperformen aus feinen Linien. Die junge oberösterreichische Künstlerin hat dazu eingeladen, feine Strumpfhosen-Leinwände mit zarten Hautfarben zu besticken. Vor Ort entstehen Durchblickbilder und abstrakte Porträts.

Der Selbstversuch zeigt, was das grafische Arbeiten mit Nadel und Faden auf einem verletzlichen Untergrund abverlangt.

Lisa Reiter mit meinem Portrait von Lisa Reiter, Foto: UMJ/Barbara Ertl-Leitgeb

Blick zurück und nach vorne

Nach einem Wochenende voller Eindrücke und Inspirationen ist sogar kurzzeitig der Friendly Alien noch bunter geworden! Gabi und Romana haben der Kälte getrotzt und gemeinsam mit den Besucherinnen und Besuchern das Kunsthaus ein Stückchen angezogen. Wer immer noch nicht genug von der Auseinandersetzung mit Strich und Faden hat, darf natürlich am Thema dranbleiben.

Friendly Alien noch bunter, Foto: UMJ: Barbara Ertl-Leitgeb

Was kann schon passieren, wenn du eine großartige Idee hast und das Produkt deiner Hirngespinste ist dann doch relativ anders und vielleicht sogar bescheidener, als du es dir vorher ausgemalt hast? Es spielt eigentlich keine Rolle, weil dich vielleicht die Freude am Prozess in einen Flow-Zustand versetzt hat und das Ergebnis dich mit Stolz erfüllt, weil DU es selber gemacht hast – nach deiner eigenen Idee, mit deinen eigenen Händen!

Scheitern ist möglich, aber egal. Was zählt, ist die Freude am Gestalten mit den eigenen Händen, die mich privat als b.ertl schon seit Jahren begleitet. Diese lässt sich nicht so leicht unterkriegen und kann sich wie ein roter Faden durch alle Lebenslagen ziehen.

Also: Los geht’s!

 

Kategorie: Kunst- & Naturvermittlung | Kunsthaus Graz
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