14. Dezember 2016 / Paul-Bernhard Eipper
Die Hölle hinter der Idylle – überraschendes Recycling in der Antoniuskirche
Beispiele aus der Alten Galerie oder der Neuen Galerie Graz haben bereits gezeigt, dass manche Kunstwerke bei genauerer Betrachtung eine überraschende „Vorgeschichte“ offenbaren. So verhält es sich auch mit der „Rantener Krippe“ aus der Sammlung des Volkskundemuseums, auf deren gemaltem Hintergrund eine idealisierte Landschaft des steirischen Malers Johann von Lederwasch (1755/56–1826) zu sehen ist. Blickt man auf die Rückseite dieses vierteiligen Gemäldes, schlägt die Stimmung drastisch um: Zu sehen sind dort Fragmente eines „Höllensturzes“ aus der Zeit der Gegenreformation, der höchst eindringlich die drohenden Konsequenzen einer Abkehr vom katholischen Glauben darstellt. Wie kam es dazu?
„Deß luthers falsche lehr hat mich pracht all her“
Die Spurensuche führt uns zurück in das 16. Jahrhundert, und zwar in die Gemeinde Ranten im Bezirk Murau: Dort wirkte von 1553 bis 1600 der lutherische Pfarrer Martin Zeiller senior, der bei keinem Geringeren als Philipp Melanchton studiert hatte. Dieser wiederum zählte zur geistigen Elite der europäischen Reformation. Zeillers 1589 in Ranten geborener Sohn Martin junior war in der Barockzeit ein sehr aktiver Autor, und auch Zeiller senior war ein engagierter Reformator: Er ließ an der Rantener Kirche drei protestantische Fresken anbringen (Deesis, Leiden des Hiob, Gegenüberstellung des Alten und Neuen Testaments), welche nach der Vertreibung der Protestanten aus der Steiermark im Zuge der Gegenreformation mit einer ausdrucksstarken „Hölltafel“ abgedeckt wurden. Der darauf abgebildete Höllensturz zeigt die personifizierten Darstellungen der sieben Todsünden und mehrere Figuren, die diese Laster verdeutlichen. Auch Pfarrer Zeiller wurde mitsamt seiner Frau auf diesem angsteinflößenden Gemälde verewigt: Er hält ein aufgeschlagenes Buch in der Hand, in dem zu lesen ist: „Deß luthers falsche lehr hat mich pracht all her“.
Zerschnitten und wiederverwertet
Fast 200 Jahre später musste die „Hölltafel“ aufgrund des Toleranzediktes von Joseph II. (1781) abgehängt werden und wurde zunächst in die Kirche verbracht. 1810 wurde das Gemälde auch von dort entfernt und gelangte in die Werkstatt des Malers Johann von Lederwasch, der mit der rund 300 Jahre alten Leinwand nicht besonders zimperlich umging: Er zerschnitt das Gewebe in zwei ungleich große Stücke, die er für sein vierteiliges Landschaftsgemälde in der „Rantener Krippe“ weiterverwendete. Diesem Umstand verdanken wir es, dass auf der Rückseite des Trägergewebes zwei – wenn auch beschnittene – Teile des Höllensturzes erhalten sind. Damit Lederwasch seinen vierteiligen Krippenhintergrund vervollständigen konnte, musste er noch zwei weitere, allerdings rückseitig unbemalte Leinwände ergänzen. Fast möchte man heute meinen, dass die historisch interessante Rückseite dieses Krippenhintergrunds im Vergleich zur dekorativen Vorderseite „wertvoller“ ist! Fest steht jedenfalls, dass Viktor von Geramb die „Rantener Krippe“ vor 100 Jahren für das Hirten- und Krippenliedersingen in der Antoniuskirche in die Sammlung aufgenommen hat. Aus Anlass dieses Jubiläums wurde der Krippenhintergrund nun erstmals restauriert und kann bei den Jubiläumskonzerten am 14., 16. und 18.12.2016 wieder bestaunt werden. Die Restaurierung des Hintergrundes erfolgte durch das Referat Restaurierung: Paul-Bernhard Eipper, Julia Hüttmann, Barbara Molnár-Lang, Ivana Sambolic, Anna Bernkopf, Kseniya Chernenko, Sarah Grünberger, Evgeniia Sannikova, Carla Helmrich, Kristina Ozimic, Melitta Schmiedel. Die Krippenfiguren wurden bereits 1996 durch Günther Diem und Christine Gerber restauriert.
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