Laura Balboa, “Information is not beautiful (internetis.tv)”, 2011, Digital Infographics Digital Infographics

9. Juni 2020 / Barbara Steiner

Das Kunsthaus im Netz

Kunsthaus Graz

#KunstimNetz: Digitale Kulturangebote, wohin man schaut. Selbst Kultureinrichtungen, die bislang nicht durch besondere Nähe zu digitalen Kulturen aufgefallen sind, rüsten sprichwörtlich auf: virtuelle Rundgänge durch Sammlungen, Online-Kunstvermittlung, digitale Kunstprojekte. Der Auszug der Kultur (und Kunst) ins Netz scheint unausweichlich. Was würde ein solcher Umbau bedeuten? Katrin Bucher (KB), Martin Grabner (MG), Katia Huemer (KH), Elisabeth Schlögl (ES), Barbara Steiner (BS), Anita Brunner (AB) äußern sich bis zur Wiedereröffnung des Kunsthauses wöchentlich über Digitalisierung im Kulturbereich, Chancen und Risiken.

BS: Das Kunsthaus Graz befasst sich in seinem Programm seit Längerem mit Schnittstellen zwischen virtuellem und physischem Raum und sucht gezielt Interaktionen mit einem heterogenen Publikum. Wesentliches Tool ist dabei die Licht- und Medienfassade von realities:united, die BIX, die bereits bei der Eröffnung des Kunsthauses 2003 in Betrieb genommen wurde. 2017 hatten wir mit fiber and liquids die erste Ausstellung im Netz. Das von Jens Geiger, Jennifer Smailes und Viktoria Tiedeke kuratierte Projekt war ausschließlich im „Darknet“-Space zu sehen. Es ging um marginalisierte Räume und strategische Rückzugsorte, globale Vernetzung und postkoloniale Auslassungen, Big Data und informelles Wissen. Auch das Ghost-Projekt von Tristan Schulze war ein Versuch, aus der Logik eines digitalen Raums – in seinem Fall eines künstlichen, wachsenden neuronalen Netzwerks – herauszuarbeiten. In Richtung derartiger Projekte sehe ich noch viel Spielraum.

KB: Als wichtigen Schritt sehe ich auch, im Social-Media-Bereich zu kuratieren. Seit etwas mehr als zwei Jahren beauftragen wir Künstler/innen, für Instagram und Facebook Kunstprojekte zu entwickeln. Seitdem sind einige Arbeiten entstanden, die sich mit den Versprechen, Hysterisierungen, Mechanismen und Möglichkeiten sozialer Netzwerke befassen. Die mehrteilige Filmarbeit Die Kunst, regiert zu werden von Ruth Anderwald und Leonard Grond war eine aktuelle künstlerische Auseinandersetzung mit den österreichischen Polit-Possen rund um die Ibiza-Affäre. Eine andere war eine performative Arbeit von Barbis Ruder,  #IAmInfluenca Werde #InfluencerOfInfluenca und #likemetoo, die als Auftakt zur physischen Liveperformance im Kunsthaus ein ironisch-kritisches Vermarktungstool ins Netz stellte. Kampagne und Performance sprachen auch von der Realität der Künstler/innen als Kleinunternehmen. Dieses Projekt spielt gekonnt mit sozialen Medien als „Marktplatz der Emotionen“, wie Barbis Ruder das nennt, und arbeitet mit Erwartungen der User/innen und den Mechanismen des Netzes. Facebook hat viele ihrer virtuellen Performances gelöscht.

Barbis Ruder, “likemetoo”, 2019, Foto: Universalmuseum Joanneum/J.J. Kujek

BS: Ich erinnere mich, dass Ruth Anderwalds und Leonard Gronds Arbeit zunächst als „Werbeanzeige eines politischen Inhalts“ eingestuft wurden. Das heißt, man muss sich proaktiv von Facebook verifizieren lassen. Diese Einstufung kam für uns sehr überraschend.

KB: Facebook filtert per Algorithmus anhand eines Schlagwortregisters politischen Inhalt heraus. Zumindest wenn man keinen als politisch angemeldeten Account besitzt bzw. sich nicht dementsprechend anmeldet. Was Facebook als politischen Inhalt erkennt, kann vieles sein, in unserem Fall waren es das Wort „Regierung“ bzw. der Hashtag „Demokratie“, die dazu führten, dass die Arbeit im ersten Durchgang abgelehnt wurde. In eine politische Diskussion, die man über einen Hashtag kommunizieren will, kann man also auf Facebook eigentlich nur dann gut einsteigen, wenn man ein politisches Büro ist.

Anderwald und Grond haben dann die Begriffe ins Bild gepackt und anstatt des aktuellen Hashtags zu Ibiza einen neuen gefunden: #immerwiederösterreich. Interessant war es auch, sich über das potenzielle Publikum Gedanken zu machen, das normalerweise vielleicht nicht eine Arbeit von Anderwald & Grond sehen würde, und so haben wir auch ganz zufällige, nicht unbedingt kunstnahe Themenfelder mit den Hashtags beschlagwortet, wie etwa das #paradiesfürpferde, das im Found-Footage-Video eigentlich auf den berittenen Putin und Kickls berittene Polizei Bezug nimmt. Der Hashtag ging auch an Pferdeliebhaber/innen. Man hat auf Social Media eben auch die Möglichkeit, unbekannte Terrains zu infiltrieren.

Ruth Anderwald + Leonhard Grond, “Die Kunst regiert zu werden: Nostalgia”, 2019

KH: Man sieht ganz gut, dass Kunst im Netz recht vielfältig ist – wie es zeitgenössische Kunst eben ist. Ein wichtiges Beispiel aus der jüngsten Zeit, das auf physischer und nicht physischer Ebene sehr gut funktioniert, ist Michikazu Matsunes Performance Homework.

Das Projekt reflektiert die derzeitige soziale Isolation. Michikazu gibt darin „Anweisungen“, wie Performances daheim real erlebt werden können – in Personalunion von Performer/in und Publikum. Das ist für mich kein klassisches Online-Projekt, auch wenn die Plattform, über die das Projekt kommuniziert wird, eine Website ist. Das Ganze hat zwar auch einen Unterhaltungswert, wenn man sich nur durch die einzelnen Projekte klickt, es wird aus meiner Perspektive aber erst dann zum Kunstwerk, wenn man tatsächlich beginnt, eine Land-Art-Skulptur im Blumentopf nachzubauen oder Gemüse durch die eigene Küche rollen zu lassen.

BS: Michikazu holt die Erfahrung von Körperlichkeit und physischem Raum, die Begegnung mit der materiellen Welt, durch die Teilnahme am Projekt wieder zurück. Der virtuelle Raum wird zum verbindenden Element der (verschiedenen) physischen Räume, je nachdem wo sich die Performenden befinden.

Kategorie: Kunsthaus Graz
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