17. Juni 2015 / Eva Kreissl

Abergläubische Besucher?

Volkskundemuseum

Ein Höhepunkt der Ausstellung Aberglauben – Aberwissen (März bis November 2014) im Volkskundemuseum war ein statistisches Experiment: Die Besucherinnen und Besucher bekamen beim Eintritt ein kleines Säckchen mit 20 Ein-Cent-Münzen. Damit sollten sie 20 abergläubische Zeichen und Rituale danach beurteilen, ob sie a) daran glauben oder b) nicht daran glauben oder c) diese gar nicht kennen. Die Beurteilung erfolgte, indem sie ihre Münzen in jene 60 entsprechenden transparenten Säulen einwarfen, deren Inhalt also langsam, aber sichtbar zu einem dreidimensionalen Diagramm aus Glücksmünzen anwuchs.

  

Die Auswertung

  1. Es haben sich mehr als 4.000 Personen an der Statistik beteiligt. (Bei Gruppenführungen wurde diese Befragung in der Regel nicht durchgeführt.) Mancher Gast hat die eine oder andere Münze auch einfach in die eigene Tasche gesteckt. Das an sich nicht sehr abergläubische Volkskundemuseum hofft, dass die 5.673 verschwundenen Münzen als Glücksbringer wirklich gute Dienste geleistet haben oder dies noch tun werden.

Übrigens: Der dadurch entstandene Verlust von 56,73 Euro stellt einen minimalen Bruchteil der Summe dar, die der Ankauf von Kartonscheiben als Abstimmungsmaterial ausgemacht hätte.

 

Die Bewertungsstation, Foto: Universalmuseum Joanneum

Die Bewertungsstation, Foto: Universalmuseum Joanneum

  1. Wie bei den meisten Befragungen – zumal, wenn sie anonym und unbeobachtet stattfinden – ergaben sich Schwankungen zwischen 3.931 und 4.426 Antworten pro Frage. Anscheinend waren manche Besucher auch so überzeugt von einer Aussage, dass sie gleich mehrere Münzen in den Schlitz für eine Antwort steckten. So führte etwa der vehemente Nichtglaube an das Unglück, das eine schwarze Katze bringen mag, wohl zur außergewöhnlich hohen Antwortquote bei dieser Frage.
  1. Andererseits scheint manche Frage einfach ausgelassen worden zu sein. Das führte bei der wohl doch eher regional verbreiteten Prognose “Auf wen das Getränk aus einem umgestoßenen Glas zufließt, dem steht bald eine Taufe ins Haus“ zu einer sehr schwachen Antwortquote. Nur auf den Ruf des Steinkauzes, der den Tod eines Menschen ankündigt, wurde noch schwächer reagiert. Obwohl dieses Motiv in vielen Gruselfilmen als Geräuschkulisse für unheimliche Stimmungen verwendet wird, halten sich bei dieser Frage die Antworten „Kenne ich nicht“ und „Glaube ich nicht“ die Waage.
In der Ausstellung "Aberglauben - Aberwissen", Foto: Universalmuseum Joanneum

In der Ausstellung “Aberglauben – Aberwissen”, Foto: Universalmuseum Joanneum

  1. So nahe beieinander liegen nur noch die beiden Antworten zur Aussage „Scherben bringen Glück“: 2.085 Menschen glauben daran, 2.081 glauben nicht daran, entsprechend wenige (172) haben davon noch nie etwas gehört. Ähnlich bekannt sind sonst nur das Daumenhalten, die Zahl 13 als Glücks- oder Unglückszahl, das Auszupfen von Blütenblättern auf die wichtige Frage „Er oder sie liebt mich – er oder sie liebt mich nicht“ oder der paradoxe Wunsch „Hals und Beinbruch!“.
  1. Spitzenreiter der angewandten abergläubischen Rituale ist die glücksbringende Sternschnuppe. Die kennen nicht nur 4.094 Menschen, 3.851 glauben sogar an sie. Nur 74 Personen (1,6 %) konnten mit dem Himmelszeichen nichts anfangen. Ganz anders erging es der schwarzen Katze. Bei insgesamt 4.426 Antworten glaubten 80,25 % aller Personen nicht, dass sie Unglück bringe und nur 4,74 % kannten das gängigste Beispiel für Aberglauben (das daher auch als Plakat-Sujet zur Ausstellung gedient hat) überhaupt nicht.
  1. Die Befragung stand unter dem Motto: „Hand aufs Herz!“ Selbstverständlich wären differenziertere Antwortmöglichkeiten denkbar gewesen, zum Beispiel: „Ich glaube nicht daran, doch ich tue es trotzdem.“ Doch diese bequeme Ansicht wollten wir nicht gelten lassen: Glaube oder Nichtglaube – das stand hier zu Debatte.

Und genau das brachte so manchen Besucher (ja, vor allem Männer!) ins Grübeln darüber, warum man etwas doch tut, wenn man eigentlich gar nicht daran glaubt. Oder bleibt neben Tradition und Gewohnheit doch ein Fünkchen Unsicherheit im aufgeklärten rationalen Verhalten?

 

Voodoo-Puppe, Foto: Universalmuseum Joanneum

Voodoo-Puppe, Foto: Universalmuseum Joanneum

  1. Die 20 Beispiele stammen zu einer Hälfte aus dem Bereich der Zeichen, die abergläubisch interpretiert werden, und zur anderen aus aktiv ausgeübten abergläubischen Ritualen. Zwischen beiden Typen lassen sich keine signifikanten Unterschiede in den Antworten feststellen. Doch es wäre durchaus möglich gewesen, dass den passiv erlebten Zeichen mehr Glauben geschenkt wird als dass man intentional ein Ritual ausführt – oder auch umgekehrt. Vielleicht wären die Zeichen bekannter gewesen als die Rituale – oder auch umgekehrt.
  1. Deutlich lässt sich hingegen die regionale Zuordnung ablesen. In der Statistik kamen Regeln vor, die vorwiegend aus der Steiermark überliefert sind, manche sind in ganz Österreich verbreitet, wieder andere (zumindest) im gesamten deutschsprachigen Raum. In der gleichen Reihenfolge steigt ihr Bekanntheitsgrad auch in den Besucherantworten. Nun kommen aber zwischen 60 und 70 % der Einzelbesucher/innen des Volkskundemuseums aus der Steiermark und insgesamt mehr als 80 % aus Österreich. Selbst wenn man berücksichtigt, dass nicht alle in der Steiermark oder Österreich aufgewachsen sind, ist bemerkenswert, dass relativ wenige die spezifisch österreichischen Zeichen und Rituale und noch weniger die spezifisch steirischen kennen.
  1. Verwunderlich ist das allerdings nicht. Auch die steirischen Märchen sind in der Steiermark nicht so bekannt wie die in Deutschland gesammelten Märchen der Brüder Grimm. Der Befund wirft ein Licht auf den Wandel von Tradierungsmethoden. Die Deutungspraxis von Zeichen in der Umwelt und apotropäisches Umgangswissen wurden wie Märchen, aber auch Lieder oder Wetterregeln ursprünglich mündlich tradiert. Variationen entstanden durch Erinnerungsfehler, Neudeutungen oder aber auch durch die Mobilität, die in traditionellen Gesellschaften das Leben der Menschen mehr bestimmte, als viele heute glauben. Wurde dieses Alltagswissen (meist von Wissenschaftlern oder Heimatforschern) schriftlich festgehalten, damit es nicht verloren ginge, erstarrte ihr Inhalt zu einer verbindlichen Form. Wurde sie hingegen nicht in einem verbindlichen, öffentlichen Werk festgeschrieben, wie eben die abergläubischen Regeln, so gehen sie entweder verloren oder wandeln sich fortwährend.
Sujet, Aberglauben - Aberwissen, Foto: © sharpness71/Fotolia.com

Sujet, Aberglauben – Aberwissen,
Foto: © sharpness71/Fotolia.com

Heute verfügen wir über viel mehr mediale Tradierungskanäle als zur Zeit der Brüder Grimm. Nicht nur Bücher, sondern auch Filme, Fernsehen und Rundfunk, populäre Musik und natürlich die sozialen Medien kolportieren Inhalte abergläubischen Denkens und verwenden dabei selten die erklärungsbedürftigen regionalen Erscheinungen. Aus dem Zusammenhang gerissen, wissen auch die wenigsten, warum eine Regel überhaupt entstanden ist, doch viele wissen, dass es sie gibt, ohne dass sie ihnen mündlich oder im direkten Kontakt weitergegeben worden wäre.

DANKE!

Das Volkskundemuseum bedankt sich sehr bei den Besucherinnen und Besuchern, die sich an dieser Statistik beteiligt haben. Die nachdenklichen Gesichter und der gegenseitige Austausch gerade bei diesem Teil der Ausstellung und auch die Eintragungen im Gästebuch ließen den Eindruck entstehen, dass die Statistik zu beantworten nicht nur Freude gemacht hat, sondern für viele eine ernsthafte Auseinandersetzung mit dem Thema auslöste.

Kategorie: Volkskundemuseum
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