Der außereuropäische Kunstraum wird infolge der Globalisierung immer mehr zu einem Reflexionsfeld auch für europäische KünstlerInnen. Aufgrund ihrer Erfahrungen während eines einjährigen Studienaufenthalts 1979/80 in Belgrad verfolgte Johanna Kandl weitere künstlerische Forschungsprojekte in Ländern wie Aserbaidschan, Georgien, Russland, Tschechien, Rumänien, Bulgarien, Jugoslawien, also vorwiegend in ost- und südosteuropäischen Ländern.
Sie war also eine der ersten Künstlerinnen Österreichs, die diskursiv auf die Veränderungen durch die Globalisierung in diesen Regionen reagierte. Sie warf einen kritischen Blick auf die Lebensumstände, insbesondere der Frauen, ohne dabei Österreich und dessen problematische Einstellung zu Fremden und fremdartigen Ländern und deren Kulturen zu vernachlässigen und hat dabei auf die schwierigen Regeln und Folgen der unterschiedlichen marktpolitischen Situationen reagiert - hier im kapitalistischen Westen ein überbordendes Konsumangebot mit existierenden Gewerbeordnungen, geregelten Arbeitszeiten und sozialem Schutz, dort wild wuchernde Straßenmärkte und illegale Geschäfte in Hinterhöfen und kein sozialer Schutz. In ihrem Verständnis von Kulturrelativismus, dass Menschen anderen Kulturen ihre Eigenständigkeit und ihre Lebensstrukturen belassen sollten, folgt Johanna Kandl der Theorie des österreichischen Philosophen Paul Feyerabend, dem geistigen Mentor dieser Biennale. Dieser Kulturrelativismus, andere Kulturen als gleichwertig gelten zu lassen, ist eine wichtige Antwort gegen die Globalisierung im Sinne von Hegemonie und Uniformität wie Nivellierung.
Johanna Kandls für die Biennale in Kairo entwickelte mobile soziale Skulptur bildet eine Intervention im öffentlichen Raum. Ein Ausstellungsraum wird mit bunten Luftballons, die Träger von Botschaften sind, gefüllt, wobei das Publikum diese mitnehmen kann. Auch die klassische öffentliche Skulptur enthält Inschriften, Texte zur Erinnerung an Personen, an Heldentaten, an historische Ereignisse oder Gedichte und sakrale Texte. Statt dieser Texte, die sich meistens auf die Vergangenheit beziehen, lesen wir nun bei Johanna Kandl Texte, die Botschaften für die Zukunft verkünden, Diagnosen, Prognosen und andere Zitate von bedeutenden Frauen wie z.B. die deutsche Widerstandskämpferin Rosa Luxemburg, Indira Gandhi, Virginia Woolf oder Haja Bejar. Diese Texte sind aber nicht in schweren Marmor oder Stahl inskribiert, sondern werden auf das denkbar leichteste Material, nämlich auf eine dünne Gummihaut, gedruckt, die mit Luft gefüllt und von Luft getragen wird. Es sind also "Air-Texte", Luftgebilde, die in den Himmel schweben, Botschaften, die sich in Luft auflösen, aber auch Botschaften, die an das Versprechen erinnern, den Menschen aus den Fesseln der Schwerkraft, der Erde und der Arbeit zu befreien. Die Luftballons sind also das genuine Medium, weil es sowohl kritisch als auch bejahend fungiert.