Der Schüler Ferdinand. Unterrichtstafeln für die „jüngeren“ Erzherzöge aus den Sammlungen des Joanneums

Stück je 29,90 €

Zu den bemerkenswertesten Dokumenten der Erziehungsgeschichte im barocken Österreich zählen jene Unterrichtstafeln, die Philipp von Rottenberg 1760 für den jungen Erzherzog Ferdinand Anton (1754–1806) im Auftrag der kaiserlichen Eltern, Franz I. Stephan und Maria Theresia, konzipiert hat. Ihre reich illustrierte Gestaltung macht sie zu einem der interessantesten kulturhistorischen Zeugnisse in den Sammlungen des Universalmuseums Joanneum und zu einem der schönsten Schriftdenkmäler der theresianischen Epoche. Die Wiederentdeckung und Interpretation dieses bislang von der Forschung unterschätzten Konvoluts bietet überraschende Einblicke in die Erziehungsvorstellungen einer Umbruchszeit, in der auch die allgemeine Schulpflicht eingeführt wurde und pädagogische Reformen langsam zu greifen begannen.

Vorgaben („Instructionen“) der kaiserlichen Eltern veranlassen den Instruktor Philipp von Rottenberg, einen Lehrplan in Form dieses einzigartigen Unterrichtswerkes zu konzipieren, das tradierte Inhalte und Bildvorstellungen auf neuartige Weise in kindgerechter Form zu vermitteln sucht, zu der die farbenfrohen Illustrationen des französischen Kupferstechers Charles Joseph Roëttiers maßgeblich beitragen. Die Tafeln sind nicht nur ein herausragendes Dokument der europäischen Bildungsgeschichte, sondern bezeugen auch die enorme Wirkung, die vom „Augsburger Geschmack“ ausging, der reizvollsten und vielleicht kühnsten Spielart des Rokoko im deutschen Sprachraum. Rottenberg und sein Illustrator haben sich ganz von den Augsburger Vorbildern und ihrer fesselnden Erzählkunst leiten lassen. In ihr spiegelt sich die bilderreiche Tradition des Barockkatholizismus ebenso wider wie das Bestreben, das Modell eines überaus anspruchsvollen Elementarunterrichts zu entwickeln und so der Prinzenerziehung ein zeitgemäßes Gesicht zu geben. Im Vordergrund stehen Charakterbildung und religiöse Unterweisung, daneben gibt es auch Instruktionen zu konkreten Fachbereichen wie Mathematik, Grammatik, Schriftkunde, Geschichte u. a .m. Abgefasst in deutscher Sprache, darf das Grazer Konvolut als Prototyp für die prächtigen lateinischen Tafeln in der Österreichischen Nationalbibliothek gelten.

 

Die vorliegende Edition konnte erstmalig im Rahmen eines interdisziplinären Projekts bearbeitet werden, das von Fachgelehrten der Karl-Franzens-Universität Graz sowie des Universalmuseums Joanneum getragen wird. Sie ermöglicht die wissenschaftliche Kontextualisierung und Interpretation eines an Dichte und Komplexität der Information kaum zu überbietenden ikonografischen und didaktischen Systems sowie die Einsicht in die Probleme der altersgemäßen Vermittlung und der Wissensauswahl eines „fürstlichen“ Bildungsprogramms.

 

 

Inhalt

Astrid Müller, Marlies Raffler
Zur Wiederentdeckung und Interpretation der Grazer Unterrichtstafeln

 

Astrid Müller, Marlies Raffler
Zur Entstehung der Unterrichtstafeln

 

Marlies Raffler
Die Rolle Erzherzog Ferdinands im dynastischen Konzept

 

Astrid Edlinger, Marlies Raffler
Höfische Erziehung

 

Barbara Kaiser
Von der spielerischen Entdeckung des Wissens: Die Tafel RELIGIO, MORES, SCIENTIAE

 

Astrid Müller
Die Unterrichtstafeln im Kontext der Pädagogik
Mnemotechnik und Sachillustration, Tabellen. Altersgerechte Wissensvermittlung, Realienkunde und Mathematik, Die lateinischen Schulen, Das Elementarschulwesen, Das Morgengebet, Die Wissensüberprüfung

 

Ulrich Becker
Zur kunst- und kulturgeschichtlichen Stellung der Unterrichtstafeln

 

Wiltraud Resch
Zur Ikonographie der Bilder

 

Rudolf K. Höfer, Wiltraud Resch, Marlies Raffler
Die Tafeln zur religiösen Erziehung
Die Unterrichtstafeln: SACRAMENTA; OCTO BEATITUDINES; VERA FIDES; CHARITAS; SPES, ORATIO DOMINICA; SYMBOLUM APOSTOLORUM; JUSTITIA CHRISTIANA; BONA OPERA; Tafel mit Gebeten

 

Stephanie Moisi
Mathematischer Elementarunterricht in den Unterrichtstafeln: Arithmetik und Geometrie
ARITHMETICA; NUMERATIO; GEOMETRIA; LONGIMETRIA; PLANIMETRIA; STEREOMETRIA; MONETA – MENSURA – PONDUS

 

Astrid Edlinger, Marlies Raffler
Die Tafeln zu Sprache, Schrift und Geschichte
CALLIGRAPHIA; TACHYGRAPHIA – STEGANOGRAPHIA – TYPOGRAPHIA; ORTHOGRAPHIA; ETYMOLOGIA/ETYMOLOGIE

 

Ulrich Becker, Marlies Raffler
Die Tafeln Geschichte und Mensch
HISTORIA; HOMO

 

Astrid Edlinger, Marlies Raffler (Hg.)

Der Schüler Ferdinand. Unterrichtstafeln für die „jüngeren“ Erzherzöge aus den Sammlungen des Joanneums. (= Joannea. Berichte aus den Sammlungen des Universalmuseums Joanneum. Beiträge zur Kunst- und Kulturgeschichte der Steiermark. Neue Folge, Bd. 4, hrsg. von Ulrich Becker, Barbara Kaiser, Edgar Lein)
Universalmuseum Joanneum, Graz 2012.

189 Seiten

ISBN 9783902095435