Ernährung im 18. und 19. Jahrhundert
Durch die Entdeckung Amerikas gelangten verschiedene Lebensmittel erstmals nach Europa. Die Weltumsegler und Kaufleute brachten von ihren Reisen aus Übersee beispielsweise Paradeiser, Erdäpfel, Paprika, Mais, Truthahn, Erdbeeren, Tee, Kaffee, Kakao und Zuckerrohr mit. Es dauerte aber relativ lange, bis sich diese Produkte allgemein verbreiteten.
Abgesehen davon war auch das Essen von Fleisch sehr lange ein Ausdruck von Wohlstand, die meisten Menschen aßen nur sehr wenig Fleisch. Heute verzehren wir laut Lebensministerium jährlich pro Kopf durchschnittlich 67 kg Fleisch, davon 40 kg Schweinefleisch.1 1950 waren es noch 25 kg.2
Für die breite Masse blieb die sogenannte Breikost bis weit in das 19. Jahrhundert Hauptnahrung.3 Die Nahrungsmittelvolkskundlerin Anni Gamerith hat in ihren Forschungen über die Ernährung der einfachen Menschen des 19. Jahrhunderts für die Steiermark festgestellt, dass damals weder Zucker noch Reis oder Kaffee, Kakao und Tee am Speiseplan standen. Weiters aß man weder Margarine noch Kunstfette, weniger Fleisch, weniger Schweinefleisch und Speck und keine Konserven. Gegessen wurden neunerlei Getreide, siebenerlei Ölfrüchte, dreierlei Hülsenfrüchte, sehr viele Waldbeeren, Wildobst, Wildkräuter, mehr Schaffleisch und Rindfleisch, mehr Butterschmalz. Um Kraut zu konservieren, wurden Gruben- und Sauerkraut produziert, Obst wurde gedörrt. Die Kartoffeln waren noch im Stadium der Einführung.4
Auch Peter Rosegger beschreibt die Situation durchaus ähnlich:
„Die Nahrung des Oberländers besteht hauptsächlich aus Milchsuppe mit Brot, Gruben- oder Sauerkraut, welches in Schmalz, Speck oder Öl zubereitet, sonst meist ohne alle Zuspeise gegessen wird; ferner aus Knödeln in Brühe mit etwas geräuchertem Rindfleisch, dann aus Sterz und Schmalzmus. Feinere Mehlspeisen, als Krapfen, Schmalznudeln u. dgl., werden zu besonderen Gelegenheiten und zu hohen Festtagen bereitet. Beliebt sind fette Speisen, so daß alles beim Hause erzeugte Schmalz und Fett nicht selten wieder daheim verzehrt wird. (…). Fleisch wird außer an den Festtagen sehr wenig verzehrt; der Mittelbauer schlachtet nebst ein paar Schweinen jährlich ein Stück Rind, was den ganzen Fleischbedarf decken muß.“5
Der folgende Nahrungsmittelverbrauch wurde für Oberösterreich errechnet, die Situation in der Steiermark dürfte eine ähnliche gewesen sein
„Grundlage der Ernährung mit einem Verbrauch von mehr als 300 Kilogramm pro Erwachsenem und Jahr war das Getreide. Dazu kamen etwa 300 Liter Milch pro Jahr und fast 15 Kilogramm Butterschmalz und etwa 5 Kilogramm Topfen. Der Fleischverbrauch hingegen war mit etwa 20 Kilogramm pro Erwachsenem und Jahr recht gering, davon mehr als die Hälfte Rindfleisch und deutlich weniger Schweinefleisch. Kartoffeln stellten mit etwa 5 Kilogramm im Jahr noch eine sonntägliche Spezialität dar. 13 Stück Eier pro Jahr zeigen den Ausnahmecharakter, den dieses Produkt noch darstellte. Ein wesentlicher Teil davon entfiel auf die Osterzeit. Der Mostverbrauch wurde mit etwa 100 Liter pro Jahr angegeben, dazu noch gut 50 Liter Mostessig. Gekauft wurden mit Ausnahme der circa 12 Kilogramm Salz pro Person und Jahr, einigen Semmeln und ein bisschen Germ praktisch keine weiteren Lebens- und Genussmittel.“6
Den Hauptbestandteil der Mahlzeiten stellten damals also noch fette Mehlspeisen verschiedener Art, Kraut, Suppen und Breie dar, wobei man in den höheren gesellschaftlichen Schichten außer freitags sehr wohl täglich Fleisch aß.7
Die Entwicklung der Esskultur
In der gehobenen Gesellschaft gehörte es schon um 1800 zum guten Stil, dass jede Person einen eigenen Suppenteller bekam.8 In den Bauernhäusern aß man wesentlich länger aus einer Schüssel. Man ersparte sich dadurch auch Teller und in weiterer Folge viel Arbeit. Nur die kleineren Kinder, die noch nicht in die große Schüssel langten, oder Gäste erhielten ein eigenes Schüsserl.
Zum Schneiden von Fleisch und Knödeln verwendete man Holzteller. Suppe, Kraut und Brei aß man aus einer gemeinsamen Schüssel. Für dieses Essen gab es strenge ungeschriebene Gesetze: Jeder Person stand nur die jeweils nächste Stelle des Schüsselrandes zu. Ein Herumrühren oder Herumstochern in der Schüssel war verboten. Das Essen dauerte meistens eine Stunde.
Laut Anni Gamerith entwickelte sich in diesem Zusammenhang beispielsweise der „Sonderbrauch“, ein sogenanntes hölzernes „Sterzkreuz“ zu verwenden, das „über die Suppenschüssel gelegt und darauf die Sterzschüssel gestellt war, so daß abwechselnd ein Löffel von unten oder von oben genommen werden konnte.“9
„Bis in die 1950er-Jahre wurden dünne, flüssige Speisen, also Milch und Suppen gelöffelt (man sagte ,gegessen‘, nie ,getrunken‘). Auch aus den eigenen Häferln, die allmählich die gemeinsame Schüssel ersetzten, wurde Kaffee oder Milch ,gegessen‘.“10
Der Löffel als ältestes Essgerät wurde der hohlen Menschenhand nachgeformt und konnte bereits in altsteinzeitlichen Fundstätten geborgen werden.11
Doch bis in die Frühe Neuzeit aß man umstandslos mit den Händen. „Man fuhr entweder mit der hohlen Hand in die Speise und warf sich das Geschöpfte mit einer raschen (und gezielten) Bewegung in den Mund, langte mit Zeigefinger und Daumen zu oder benutzte ausgehöhlte Stücke von fester Kost, namentlich aber Brotfladen – in Europa auch Teile von Pfannkuchen – als ,Löffel‘.“12
Ab dem Mittelalter war der Löffel das „Hauptgerät“ am Tisch. Ursprünglich wurden Holzlöffel verwendet, danach kamen die dünnen, gepressten Blechlöffel. Verglichen mit den heutigen Löffeln sind die Blechlöffel kleiner und flacher und so durfte man den Löffel nicht zu voll nehmen, um nichts zu verschütten.13
Wer genug hatte, legte den Löffel mit seiner Höhlung nach unten auf das Tischtuch. Hatten alle auf diese Weise den Rundgang beendet, wurde die Schüssel fortgenommen und die nächste sogenannte Richt aufgetischt.14 Das gewöhnliche Mittagsmahl bestand aus drei Richten, an höheren Festtagen und schwereren Arbeitstagen aus mehreren.15 Bis auf wenige Ausnahmen kannte man früher das Zusammenessen von mehreren Speisen, wie wir es heute kennen, nicht.
Die Gabel als Esszeug konnte sich in der breiten Masse erst im 19. Jahrhundert durchsetzen, denn durch die Industrialisierung konnten Metallgabeln erstmals billiger hergestellt werden. Die Gabel stammt als Kulturimport vermutlich aus dem orientalischen Raum, wo sie schon viel früher als Speisegerät bekannt war.16 In der Antike bei den Römern war die Gabel zwar teilweise schon in Verwendung, allerdings wurden sie wahrscheinlich bloß zum Aufspießen von Fleisch benutzt.17
Im Mittelalter aßen die einfachen Menschen mit den Fingern, aber auch bei Kaisern und Königen war diese Sitte üblich. Am Wiener Hof wurde etwa bis 1651 mit den Fingern gegessen, sogar am Hofe Ludwigs des XIV. wurde Gästen die Benutzung der Gabel vom König persönlich untersagt.18 Zum Tranchieren des Fleisches verwendete man ein Messer und eine zweizinkige Gabel.
Es kamen zwar schon im 16. Jahrhundert die kleinen Gäbelchen immer mehr in Mode, sie wurden zunächst allerdings nur von französischen und italienischen Damen als Obst- und Konfektgäbelchen benutzt und deshalb auch als "weibisches Geziere" abgetan. Als Statussymbole waren diese Gäbelchen aus Elfenbein, Gold oder Silber oft mit Perlmutt und Edelsteinen verziert.19
Durch die verbreitete Mätressenwirtschaft an den Höfen hatte die Gabel zusätzlich den Beigeschmack eines unsittlichem Lebenswandels,20 sogar als Symbol des Teufels wurde sie angesehen, der damit im Höllenfeuer hantiere. Selbst Hildegard von Bingen beschrieb den Gabelgebrauch als teuflisch.21 Auch Martin Luther und Erasmus von Rotterdam äußerten sich abfällig über die Gabel. Erasmus vermerkte 1530 in seinem „Anstandsbuch über gesittetes Betragen bei Tisch“: „Was gereicht wird, hat man mit drei Fingern oder mit Brotstücken zu nehmen.“22 Erst Anfang des 18. Jahrhunderts setzte sich die Gabel in Adelskreisen immer mehr durch und wurde zum Kennzeichen der Vornehmen und Reichen.
Noch bis ins 17. Jahrhundert trug jeder Gast ein privates Essmesser in einer Lederscheide am Gürtel. Messer und Löffel zählten bis zum Ende des 17. Jahrhunderts zum persönlichen Besitz, weshalb bis zu diesem Zeitpunkt der Gastgeber bei Einladungen nicht für das Essgerät sorgen musste.23
Die Entwicklung der Küchenkultur
Die Küche ist jener Ort der Verwandlung, in dem Rohstoffe zu Mahlzeiten umgewandelt werden. Die älteste Küchenform ist eine simple Feuerstelle, die bald als Rauchküche oder Rauchstube mit eigenem Kaminabzug als eigener Wirtschaftsraum ins Haus integriert wurde.
Bis um 1800 brannten die Feuer zur Essensbereitung auch in Adels- und Bürgerhäusern noch frei rauchend auf offener Herdfläche oder in einer Ofenhöhlung.24 Gekocht wurde in der Steiermark gegendspezifisch – im Nordwesten entweder nur bei offenem Feuer auf dem Herd, im Osten nur im Ofen (Backofen) und im Mittelteil des Landes großteils in Rauchstuben. Dabei handelte es sich, im Gegensatz zur Rauchküche – die eine reine Arbeitsküche war -, gewissermaßen um eine Wohnküche im heutigen Sinne.
„In der raucherfüllten ,Rauchstube‘ wurde gewohnt, gegessen, teilweise geschlafen und gekocht. In der bescheidenen Rauchküche bereitete man nur Speisen und Futter zu.“25 Die meist quadratische, hausbreitgroße Stube vereinte diagonal zum Tisch beide Feuerstätten, Herd und (Back-)Ofen.26
Aus den unterschiedlichen Arten zu kochen resultierten nicht nur eigene Speisen, sondern auch die Verwendung von jeweils eigenem Geschirr. Zum Kochen am Herd, über offenem Feuer, benötigte man zum Beispiel Dreifüße, auf welche die Töpfe gestellt wurden.
„Ein Topf, der über dem Feuer hängt oder ins Feuer gestellt wird, bildet die effizienteste Art des Kochens. Nichts von den beigefügten Nahrungsmitteln geht verloren, tropft ins Feuer oder wird versengt und verbrannt. Vom Spieß oder Rost hingegen rinnt viel Fett ins Feuer und werden Speiseteile verschmort oder verkohlt. Das mag durchaus erwünscht sein, ist unter armen Verhältnissen aber ein ernst zu nehmender Kostenfaktor. Wer, wie die Mehrheit unserer heutigen und noch mehr der früheren Welt, über wenig Nahrungsmittel verfügt, geht haushälterisch mit ihnen um. Er kocht sie im Kessel, um nichts von dem Fett und dem Saft zu verlieren. Anders sind die Bilder aus den Küchen der Burgen und Schlösser: Dort sieht man die mit großen Bratenstücken und ganzen Tieren bestückte Spieße, wo nicht nur viel im Feuer verloren geht, sondern auch die Reste zum Abfall wandern.“27
Aus der Möglichkeit, ausschließlich am offenen Herd kochen zu können, entwickelte sich auch eine eigene Mehlspeise. Die einzige Möglichkeit, über offenem Feuer eine Mehlspeise herzustellen, war in Form des sogenannten Prügelkrapfens. Er war Festgebäck für die „höchsten Festtage des Menschenlebens“, für Hochzeit, Primiz und Jubiläen. Der Prügelkrapfen wird als einziges Herdgebäck nicht im tiefen Schmalz, sondern an der Gluthitze des offenen Feuers gebacken.
Vergleichbar mit Fleisch auf einem Bratspieß, wird hier der „Prügel“ in seinem Gestell ständig gedreht und dabei jeweils Teig erst auf seine Umschnürung, später auf die frühere Teigschicht gegossen.
Das folgende Rezept zeigt uns, dass es sich dabei keinesfalls um Diätkost handelt:
„1 kg gesiebter Zucker wird in eine Rührschüssel gethan; 60 Eidotter, etwas gestoßene Gewürznelken, Kardamon, Koriander, 15 g Zimt, 2 geriebene Muskatnüsse und 30 g gestoßene bittere Mandeln werden hinzu gethan und sämtliche Zuthaten gut zu Schaum gerührt. Danach wird 100 g Mehl darunter gearbeitet, 1 kg zerlassene, ausgekühlte Butter langsam dazu gegossen und zuletzt der Schnee der 60 Eiweiß leicht darunter gezogen. – Nun befestigt man am Bratspieß den aus einem runden, ausgehöhlten Holze bestehenden Baum, bestreicht denselben mit Butter und umwickelt ihn mit weißem Papier. Um dieses wickelt man nun in kleinen regelmäßigen Zwischenräumen ziemlich dicken Bindfaden, den man vorher mit zerlassener Butter eingefettet hat. Zur Befestigung des Bindfadens befindet sich an jedem Ende des Holzes ein kleiner Nagel. Hierauf wird der Baum über dem offenen Herdfeuer zuerst langsam, dann schneller gedreht, so daß er sich völlig erwärmt, ohne daß jedoch das Papier braun werden darf; alsdann wischt man die Butter mit einem Tuche ab und gießt nun die erste Schicht Teig um den Baum, wobei man denselben zuerst langsam und dann schneller dreht, damit sich Zacken bilden. Sobald die erste Schicht hellgelb gebacken ist, gießt man die zweite Schicht darüber und fährt so fort, bis aller Teig verbacken ist. Damit der Kuchen recht lange Zacken bekommt, muß man beim Gießen recht schnell drehen. – Ist der Kuchen ausgebacken, so spritzt man mit einer Spritze den Schnee von 6 Eiweiß darauf, bestreut ihn mit Puderzucker, läßt ihn gut austrocknen und etwas auskühlen. Alsdann zieht man an jedem Ende des Baumes die Nägel heraus, schneidet den Kuchen an beiden Enden glatt, ohne jedoch den Bindfaden zu zerschneiden, und zieht letzteren heraus. Der Kuchen wird nun vom dünneren Ende des Baumes herunter gezogen und das Papier heraus genommen.“28
Die Dreifußreinen aus Ton wiederum, vielfach auch verziert, waren zum Backen von Tommerln und Strudel im Backofen bestimmt. Diese Backformen wurden mittels Ofengabel in den Ofen geschoben und bei Bedarf gleichgerückt. Nach Einführung des Sparherdes änderten sich die Kochgefäße und vielfach auch die Speisenbereitung bzw. die Speisen selbst.
Der Sparherd
Um 1770 wurde der „Windofen“ erfunden. Hier speiste der Luftzug vom Aschenloch durch einen Rost das Feuer, der Rauch wurde durch ein geschlossenes Rohr abgeführt.29
Die Entwicklung des "Sparherdes" war eine Sternstunde der Küchengeschichte. Dieser ermöglichte in weiterer Folge das Kochen und Backen mit Ober- und Unterhitze.
In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurde in Adels- und Bürgerhäusern der gemauerte oder eiserne Sparherd eingeführt, der die Luft von unten durch Aschenloch und Rost ansaugte und den Rauch geschlossen um das Backrohr in den Rauchfang über das Dach führte. Seine eiserne Herdplatte, die meist zwei durch Herdringe zu verschließende Löcher besaß, in die die Pfanne oder der „Schnellsieder“ eingehängt werden konnten, ersetzte den offenen Herd, sein Backrohr den Ofen.30
Bis Ende des 19. Jahrhunderts kam es großteils zur Ablösung der offenen Feuerstellen durch den Sparherd. Zwischen 1790 und 1850 verschwanden die offenen Feuerstellen und Rauchküchen bzw. Rauchstuben in den Häusern Wiens, bis ins frühe 20. Jahrhundert auch in den meisten Bauernhäusern. Sparherd nennt man im Allgemeinen jeden Kochherd, bei dem das zum Kochen der Speisen dienende Feuer in einem besonderen (geschlossenen) Feuerraum mit Rost und Aschenfall brennt, im Gegensatz zu den offenen Herdfeuerungen mit Rauchmantel. Diese neue Herdform war aufgrund vielfältiger Überlegungen und Vorschläge im späten 18. Jahrhundert entstanden, um den großen Holzverbrauch beim Kochen und Braten mit offenem Feuer zu reduzieren.31
Frankfurter Küche
Eine weitere Sternstunde der Küchengeschichte war der Entwurf der Frankfurter Küche. Entwickelt wurde sie 1926 von der Wiener Bauhaus-Architektin Margarete Schütte-Lihotzky. Aus der Frankfurter Küche entwickelte sich die moderne Einbauküche, die 1945 mit entsprechender Verzögerung wiederum aus Amerika nach Europa kam.
Die Grundlage der Frankfurter Küche war der Taylorismus, dessen Ziel die Optimierung von Arbeitsabläufen war. Mittels Stoppuhr wurden alle auszuführenden Handgriffe gemessen und die Dauer eines Arbeitsganges bestimmt und optimiert.32
Margarete Schütte-Lihotzky übertrug den Gedanken der Arbeitsoptimierung von der industriellen Massenfertigung auf den Wohnungsbau, indem sie den Küchenarbeitsplatz nach ergonomischen und praktischen Erwägungen gestaltete, ohne die Finanzierbarkeit für breite Schichten außer Acht zu lassen. Die Frau sollte weniger Zeit in der Küche verbringen müssen, um mehr Zeit mit der Familie verbringen zu können.
Die Frankfurter Küche war wie ein industrieller Arbeitsplatz gestaltet. Alle wichtigen Dinge waren mit einem Handgriff erreichbar und eine Vielzahl von Gerätschaften sollte Arbeitsgänge verkürzen. Um dies zu verwirklichen, wurde die Küche sehr kompakt gehalten, was den Erfordernissen der gerade im Entstehen begriffenen Gemeindebauten sehr entgegen kam. Allein in Wien entstanden bis 1934 Wohnungen für 220.000 Menschen.33
Ein Vorläufer der Frankfurter Küche war die vom Wiener Architekten Anton Brenner entworfene Einbauküche, welche er gemeinsam mit seiner damaligen Assistentin Margarete Schütte-Lihotzky im Jahr 1925 für seine eigene Wohnung in Wien schuf. Diese Wohnung ist heute im Originalzustand als Museum zugänglich.34
Die Küche ist für Arbeiter*innen- und Angestelltenwohnungen konzipiert. Die engen Platzverhältnisse der kleinen Wohnungen des Geschosswohnungsbaus der 1920er-Jahre ließen keine konventionellen, also einzeln stehende Küchenmöbel zu, wie sie in Einzelhäusern jener Zeit üblich waren. „Alles, was bis dahin in einer ,großen‘ Küche gemacht wurde, musste auf minimalem Raum möglich sein (1,9 x 3,4 m). Ihr Vorbild war die Küche eines Speisewagens.“35 Die Frankfurter Küche war formal einfach gestaltet, Holzteile waren blau-grün gestrichen, da Fliegen blau-grüne Flächen meiden, wie Wissenschaftler*innen der Universität Frankfurt herausgefunden hatten.
„Es gab niedrig montierte Arbeitsplatten vor dem Fenster, praktische Drehhocker, ein herausklappbares Bügelbrett, jede Menge Aluminiumbehälter für Nahrungsmittel zum Herausziehen, einen Elektroherd und eine hängende Abtropftasse für das Geschirr, die das Abtrocknen ersparte.“36
Neben dem modernen, kleinen Elektroherd gab es auch einen mit seitlichen Abstellmöglichkeiten für heiße Töpfe. Nachdem sich viele Nutzerinnen über die hohen Kosten des Elektrokochens beschwerten, wurden auch ein kombinierter Kohle-Elektroherd und eine Kochkiste für den Elektroherd angeboten.
Als Kochkiste kann jede beliebige, gut schließende Kiste verwendet werden. Diese ist mit Holzwolle, Stroh oder Heu zu füllen. Je nach Größe können ein, zwei oder mehrere Töpfe darin Platz finden und so, als Energiesparmaßnahme, die Speisen durch Einwirkung von Dampf fertig gegart werden.37
Zur Kostenreduktion wurde die Frankfurter Küche als standardisiertes Modulsystem konzipiert, das in großer Auflage in Fabriken hergestellt werden konnte und von den Tischlern nur noch in der Küche verankert werden musste. Es ist die Standardisierung der Module und die Möglichkeit der industriellen Fertigung, die die Frankfurter Küche zum Vorbild der heutigen Einbauküchen macht.
In großem Stil zum Einsatz kam die Frankfurter Küche im Rahmen des Frankfurter Wohnungsbauprogrammes, das zwischen 1926 und 1932 unter der Leitung von Ernst May eine Vielzahl von Siedlungen schuf. Weil sie einerseits Arbeitsersparnis brachte und andererseits durch das geringere Bauvolumen die Baukosten gesenkt werden konnten, musste in dieser Zeit jede neue Gemeindewohnung mit einer solchen Küche ausgestattet werden, insgesamt etwa 10.000 der 15.000 May-Wohnungen in Frankfurt am Main. Daher stammt auch die Bezeichnung „Frankfurter Küche“.38
Das Ziel von Schütte-Lihotzky war die Befreiung der Hausfrau von unnötiger und eintöniger Arbeit. Ob es erreicht wurde, darf angezweifelt werden, denn es zeigte sich bald, dass dafür mehr als nur technische Verbesserungen notwendig waren. Fehlende Gerechtigkeit bei der Verteilung der Haushaltsaufgaben in den Familien verhindern bis dato eine alle Gesellschaftsschichten umfassende Verbesserung der Situation der Frau.
Die Tätigkeiten erscheinen zwar leichter, die Arbeit gewinnt durch die Gleichzeitigkeit unterschiedlicher Vorgänge aber an Intensität und Dichte.39
Text: Mag. Maria Zengerer

1 www.lebensmittelnet.at/article/articleview/63870/1/24306.
2 www.umweltberatung.at/start.asp.
3 Vgl. Wilhelm Huditz, „Vom Österreichischen Bauernessen einst und jetzt. Versuch einer Überschau“, in: Österreichische Zeitschrift für Volkskunde, hg. vom Verein für Volkskunde in Wien, Gesamtserie Band 73, Wien 1970, S. 39.
4 Vgl. Anni Gamerith, „Nahrung und Arbeit“, in: Grete Klingenstein, Peter Cordes (Hg.), Erzherzog Johann von Österreich, Kat. Steirische Landesausstellung 1982, Graz 1982, S. 273.
5 Peter Rosegger, Das Volksleben in Steiermark. In Charakter- und Sittenbildern dargestellt, München o. J., S. 46–47.
6 Roman Sandgruber, „Eine Welt ohne Süße. Schlierbacher Bauernkost vor 200 Jahren“, in: Roman Sandgruber, Hannes Etzlstorfer, Christoph Wagner (Hg.), Mahlzeit!, Kat. Oberösterreichische Landesausstellung 2009, Linz 2009, S. 67.
7 Vgl. Anni Gamerith, „Tisch, Mahl und Speise des einfachen Landvolkes zur Zeit Erzherzog Johanns“, in: Klingenstein, Cordes (Hg.), Erzherzog Johann, 1982, S. 168.
8 Vgl. Reinhard Hausschild, Das Buch vom Kochen und Essen. Ein Streifzug durch die Küchen und Kochtöpfe der Weltgeschichte, Stuttgart-Degerloch 1975, S. 108.
9 Gamerith, „Nahrung und Arbeit“, 1982, S. 252.
10 Ingrid Selbitschka, „Bäuerliche Tischsitten“, in: Rund um das bäuerliche Essen, Festschrift Dr. Anni Gamerith zum 80. Geburtstag (= Feldbacher Beiträge zur Heimatkunde der Südoststeiermark, Heft 1), Feldbach 1986, S. 54.
11 Vgl. Roman Sandgruber, in: Sandgruber, Etzlstorfer, Wagner, „Mahlzeit!“, 2009, S. 305.
12 Klaus E. Müller, Kleine Geschichte des Essens und Trinkens. Vom offenen Feuer zur Haute Cuisine, München 2009, S. 88.
13 Vgl. Selbitschka, „Bäuerliche Tischsitten“, 1986, S. 55.
14 Vgl. Anni Gamerith, „Bäuerliche Tischsitten II“, in: Neues Leben, Bad Goisern 1953, S. 374.
15 Vgl. Anni Gamerith, „Speise und Trank im südoststerischen Bauernland“, in: Grazer Beiträge zur europäischen Ethnologie, hg. v. Edith Hörandner, Band 1, Graz 1988, S. 34.
16 Vgl. Jochen Amme, Historische Bestecke. Formenwandel von der Altsteinzeit bis zur Moderne, Stuttgart 2002, S. 17.
17 Vgl. Roman Sandgruber, in: Sandgruber, Etzlstorfer, Wagner, „Mahlzeit!“, 2009, S. 306.
18 Vgl. Fernand Braudel, Sozialgeschichte des 15.‒18. Jahrhunderts. Der Alltag, München 1985, S. 215.
19 Vgl. www.planetwissen.de/alltag_gesundheit/essen/tischetikette/geschichte_der_gabel.jsp.
20 Vgl. Jochen Amme, Historische Bestecke. Formenwandel von der Altsteinzeit bis zur Moderne, Stuttgart 2002, S. 16.
21 Vgl. Roman Sandgruber, in: Sandgruber, Etzlstorfer, Wagner, „Mahlzeit!“, 2009, S. 306.
22 Amme, Historische Bestecke, 2002, S. 16.
23 Hannes Etzlstofer, „Essen zwischen Notwendigkeit und Prestige. Von den Hauß Fressereyen zum Festbankett“, in: Sandgruber, Etzlstorfer, Wagner, „Mahlzeit!“, 2009, S. 31.
24 Vgl. Gamerith, „Tisch, Mahl und Speise“, 1982, S. 165.
25 Gamerith, „Speise und Trank im südoststerischen Bauernland“, 1988, S. 125.
26 Vgl. Gamerith, „Tisch, Mahl und Speise“, 1982, S. 165.
27 Roman Sandgruber, in: Sandgruber, Etzlstorfer, Wagner, „Mahlzeit!“, 2009, S. 304.
28 Mathilde Ehrhardt, Grosses illustriertes Kochbuch für den einfachen bürgerlichen und den feineren Tisch, Berlin 1902, S. 517‒518.
29 Gamerith, „Speise und Trank im südoststerischen Bauernland“, 1988, S. 289.
30 Gamerith, „Tisch, Mahl und Speise“, 1982, S. 165.
31 Norbert Loidol, Roman Sandgruber, in: Sandgruber, Etzlstorfer, Wagner, „Mahlzeit!“, 2009, S. 444.
32 Vgl. Franziska Maderthaner, „Revolution am Herd“, in: Schau, Heft 6, 2010, S. 25.
33 Vgl. ebda, S. 24.
34 de.wikipedia.org/wiki/Frankfurter_K%C3%BCche.
35 Maderthaner, „Revolution am Herd“, 2010, S. 24.
36 Ebda, S. 25.
37 Betty Hinterer, Hilde Kucher, Grabnerhof Kochbuch. Die neue österreichische Küche, 26. völlig überarbeitete Auflage, Graz, Stuttgart 1990, S. 19‒20.
38 de.wikipedia.org/wiki/Frankfurter_K%C3%BCche.
39 Vgl. ebda.
Vielfalt und Einheitsbrei! Von der Kultur des Essens
Die Sonderausstellung zu diesem Thema wurde 2011 im Museum in Schloss Stainz gezeigt.
Essen ist mehr als nur eine reine Nahrungsaufnahme. Essen ist Kulturgut, ist versehen mit Werten und oftmals Träger mythischer Symbole, ist eine sinnliche Erfahrung. Essen bedeutet Geselligkeit, Tischkultur, Tischsitten, aber auch eine geordnete Abfolge von Speisen.
Ein von Mag. Karlheinz Wirnsberger veröffentlichter Beitrag dazu erschien in Der Fortschrittliche Landwirt im Heft 14/2011
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- Von der Kultur des Essens, LANDWIRT 14_2011 (2,666 KB)
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