Der heutige Zustand des Kultwagens von Strettweg. Foto: UMJ, N. Lackner.

Der heutige Zustand des Kultwagens. Foto: UMJ, N. Lackner.

19. Mai 2021 / Daniel Modl

Vom Unglück, einen Schatz zu finden

Archäologie und Münzkabinett | Ausstellungen | Forschung

Was wurde aus dem Finder des Kultwagens von Strettweg?

Daniel Modl und Robert Fürhacker

Strettweg, 1851: Als im September 1851 der Pflug des Landwirts Ferdinand Pfeffer (1820–1896) etwas tiefer als gewöhnlich ins Erdreich seines Ackers nördlich des Dorfes Strettweg eindrang und dabei neben großen Feldsteinen auch die grünlichen Bronzefragmente des Kultwagens zu Tage förderte, war noch nicht abzusehen, dass hier einer der wichtigsten archäologischen Funde Europas getätigt wurde [1]. Heute, 170 Jahre später, gilt der Kultwagen als eine „Ikone“ der Hallstattzeit und als eines der Sammlungshighlights des Universalmuseums Joanneum.

Ferdinand Pfeffer aus Strettweg im Kreis seiner Familie, um 1870. Foto: Repro von S. v. Bosio (Judenburg), um 1950. Quelle: Privatbesitz.

Ferdinand Pfeffer im Kreis seiner Familie, um 1870. Foto: Repro von S. v. Bosio (Judenburg), um 1950. Quelle: Privatbesitz.

Dem Finder brachte seine Entdeckung jedoch nur wenig Glück, wie eine Episode illustriert, die sich 22 Jahre nach der Auffindung des Kultwagens zutrug. Am 1. Mai 1873 wurde in Wien die Weltausstellung eröffnet. Mit zwölftägiger Verspätung traf dort auch der Kultwagen ein, der mit weiteren steirischen Funden im südlichen „Pavillon des Amateurs“ im Wiener Prater ausgestellt wurde.

Plan des Weltausstellungsgeländes am Wiener Prater mit der Position des südlichen Pavillons des Amateurs (Kreis), wo der „Kultwagen“ von Strettweg ausgestellt wurde, Ausschnitt aus einem Gebäudeplan, 1873. Quelle: Situations-Plan der Weltausstellung 1873 in Wien mit allen Nebenbauten, Pavillons, Separatausstellungen und Objecten innerhalb des Ausstellungsplatzes (Wien 1873).

Plan des Weltausstellungsgeländes am Wiener Prater mit der Position des südlichen Pavillons des Amateurs (Kreis), wo der „Kultwagen“ von Strettweg ausgestellt wurde, Ausschnitt aus einem Gebäudeplan, 1873. Quelle: Situations-Plan der Weltausstellung 1873 in Wien mit allen Nebenbauten, Pavillons, Separatausstellungen und Objecten innerhalb des Ausstellungsplatzes (Wien 1873).

In der Wiener Weltausstellungs-Zeitung vom 15. Mai wird die Ankunft des Kultwagens folgendermaßen verkündet: „Das steiermärkische Joanneum, das bekanntlich seinen Namen nach dem Stifter, dem Erzherzoge Johann, trägt, birgt in seinem Antiken-Cabinet einen wahren archäologischen Schatz, um welchen es von allen ähnlichen Instituten des Continents beneidet wird. Es ist dies ein broncenes Opfergeräth aus der vorchristlichen Zeit, das die Form eines Wagens hat und nach seinem Fundorte – Zeltweg [sic] bei Judenburg – der Judenburger Wagen genannt wird. Als solcher ist die Rarität allen Fachmännern geläufig. Der Judenburger Wagen ist nun von der Leitung des Joanneums zur Weltausstellung gesendet worden, wo er gewiß das Interesse aller Kenner wachrufen wird.“ [2]

Unter den Ausstellungsbesucher*innen befand sich eines Tages auch Ferdinand Pfeffer, der für einen Eklat sorgte. Wie eine kurze Notiz des Zeitzeugen und damaligen Vorstands des Münzen- und Antikenkabinetts am Joanneum, Friedrich Pichler (1834–1911), nahelegt [3], dürfte Pfeffer vor Ort eine Ruhestörung begangen haben, die mit fünf Tagen Arrest bestraft wurde. Auch wenn für diesen Vorgang vorerst kein weiterer Beleg gefunden werden konnte, dürfte Pichlers Notiz den Tatsachen entsprechen. Doch worüber hat sich Pfeffer so erregt?

Hierfür müssen wir uns nochmal in das Jahr der Auffindung des Kultwagens begeben und kurz erörtern, wie dieser überhaupt in das Joanneum gelangte. Alles begann mit dem Judenburger Stadtpfarrkaplan Wilhelm Decrignis (1814-1865), der durch Zufall erfuhr, dass Pfeffer mehrere alte Bronze- und Eisenobjekte – angeblich einen Krautkorb voll – bei Feldarbeiten geborgen hatte. Davon erfuhr Mathias Robitsch (1802-1892), Kirchenhistoriker und Ausschussmitglied des Historischen Vereines für Steiermark in Graz, der Decrignis bat, alle Fundstücke für die Wissenschaft zu sichern. So wurde die Judenburger Stadtgeistlichkeit angewiesen, die Funde Pfeffer abzukaufen, worauf dieser in mehreren Tranchen 14 bis 15 Gulden als Ablöse erhielt.

Robitsch war es dann auch, der den Kultwagen aus seinen Einzelteilen zusammensetzte bzw. montieren ließ und im Jahr 1853 die erste wissenschaftliche Abhandlung zu ihm veröffentlichte [4], was den Fund europaweit bekannt machte. Im Jahr 1853 schenkte Robitsch schließlich den Kultwagen dem Historischen Verein für Steiermark und verfügte, dass dieser im Joanneum ausgestellt werden soll.

Der Zustand des Kultwagens von Strettweg nach seiner Erstmontage durch Mathias Robitsch, Fotograf unbekannt, Salzpapierabzug (Kalotypie) auf Karton, vermutlich Ende 1852. Quelle: UMJ, AArchMk, Fotoarchiv.

Der Zustand des Kultwagens nach seiner Erstmontage durch Mathias Robitsch, Fotograf unbekannt, Salzpapierabzug (Kalotypie) auf Karton, vermutlich Ende 1852. Quelle: UMJ, AArchMk, Fotoarchiv.

Mit der Bekanntheit des Kultwagens wuchs auch dessen Wert und dieser lag im Jahr 1873 bereits bei 1000 Gulden, wie einem Formular zur Weltausstellung zu entnehmen ist [5]. Und hier in Wien, zwischen all den anderen einzigartigen Altertümern bzw. Kunstwerken im Pavillon des Amateurs und dem internationalen Publikum, das den Kultwagen bestaunte, dürfte Pfeffer vermutlich bewusst geworden sein, welch wertvollen Fund er einst gemacht hatte und wie gering die Summe war, die er damals als Ablöse dafür erhielt. Die Folge war sein lautstarkes Auftreten bei der Weltausstellung.

Nach seiner Rückkehr nach Strettweg kontaktierte er das Joanneum mit der Absicht die aus seiner Sicht unklaren Eigentumsverhältnisse bzw. unklare Erwerbssituation zu klären. Pfeffer hatte jedoch weder vom Historischen Verein für Steiermark oder dem Joanneum eine weitere finanzielle Entschädigung zu erwarten und dürfte daher eine modern anmutende PR-Aktion in eigener Sache gestartet haben. Dies legt eine Fotomontage nahe, die den Kultwagen mit Ferdinand Pfeffer im Bildhintergrund zeigt und mit folgendem Text bedruckt ist: „Ferdinand Pfeffer, Trögl in Strettweg bei Judenburg in Steiermark, von der Weltausstellung zum Angedenken 1873. 400 Jahre vor Christi Geburt.“ Es ist mit großer Wahrscheinlichkeit anzunehmen, dass diese Fotomontage, die uns in mehreren Exemplaren überliefert ist, auf direkte Initiative von Pfeffer entstand, der so wohl seinen Beitrag zur Auffindung des „Kultwagens“ dokumentieren wollte, der damals auf der Wiener Weltausstellung großes Aufsehen erregte.

„Ferdinand Pfeffer, Trögl in Strettweg bei Judenburg in Steiermark, von der Weltausstellung zum Angedenken 1873. 400 Jahre vor Christie Geburt.“, anonyme Fotomontage, 1873 (?), Albuminpapier auf Karton. Quelle: UMJ, AArchMk, Fotoarchiv.

„Ferdinand Pfeffer, Trögl in Strettweg bei Judenburg in Steiermark, von der Weltausstellung zum Angedenken 1873. 400 Jahre vor Christi Geburt.“, anonyme Fotomontage, 1873 (?), Albuminpapier auf Karton. Quelle: UMJ, AArchMk, Fotoarchiv.

Dieses Foto mehrte vielleicht Pfeffers Bekanntheit, doch zu einem pekuniären Gewinn führte es nicht. Im Jahr 1884 verkaufte Pfeffer sein gesamtes Anwesen mitsamt dem „Schatzacker“ und erhielt dafür ein Ausgedinge. Zwölf Jahre später, am 23. Dezember 1896, starb Pfeffer heruntergekommen und verbittert im sechsundsiebzigsten Lebensjahr in Strettweg. Doch auch nach seinem Tod blieb die Geschichte von der Auffindung des Kultwagens in seiner Familie lebendig.

Aktueller Anlass für diesen Blog-Beitrag ist eine Sonderausstellung im Museum Murtal: Archäologie der Region in Judenburg mit dem Titel „Der Kultwagen von Strettweg – Restaurierung und Rezeption einer archäologischen Ikone“, die ab Samstag, dem 22. Mai 2021, für die Besucher*innen geöffnet ist. In Kooperation mit dem Archäologiemuseum am Universalmuseum Joanneum werden die komplexe Restaurierungsgeschichte dieses berühmten archäologischen Fundes rekonstruiert und die Rezeption des Kultwagens abseits der Wissenschaft vor Augen geführt. Mit zahlreichen Originaldokumenten und Fotografien sowie historischen Gips- und Kunstharzkopien wird ein umfassender Einblick in den Umgang mit diesem archäologischen Objekt in den letzten 170 Jahren ermöglicht.

Zeitgleich mit der Ausstellung erscheint in der Reihe Schild von Steier auch eine 350-seitige Monographie zum Kultwagen [6], die auch Ferdinand Pfeffers Rolle bei seiner Auffindung würdigt.

 

 

Museum Murtal – Archäologie der Region

Herrengasse 12, 8750 Judenburg

Öffnungszeiten: Mittwoch bis Sonntag, 10-17 Uhr

T: 03572 20388 | M: 0676 570 8710

E: info@museum-murtal.at

www.museum-murtal.at

 

 

[1] R. Fürhacker – D. Modl, Judenburg und der „Kultwagen von Strettweg“ – Zwei forschungsgeschichtliche Episoden, Berichte des Museumsvereines Judenburg 48, 2015, 3–24.

 

[2] Anonym, (Der „Judenburger Wagen“.), Wiener Weltausstellungs-Zeitung, 3. Jg., Nr. 152, Beilage (Donnerstag, 15. Mai 1873), [5].

 

[3] UMJ, AArchMk, Archiv, Jahresakt 1889, Akt-Nr. 70, Schreiben von A. Bleikolm an P. Hauptberger, 29.3.1889, mit dem aufgeklebten Briefkuvert und nachträglichen Notizen von F. Pichler.

 

[4] M. Robitsch, Alterthümer von Ausgrabungen bei Judenburg, Mittheilungen des Historischen Vereines für Steiermark 3, 1852, 67–78.

 

[5] UMJ, AArchMk, Archiv, Jahresakten 1873, Akt-Nr. 15, vorgedrucktes Formular mit dem Titel „Weltausstellungs Commission in Graz, Kunstgegenstände aus alter Zeit (Gruppe 24)“ mit handschriftlichen Einträgen, undatiert.

 

[6] R. Fürhacker – D. Modl, Der Kultwagen von Strettweg – Eine Objektbiographie. Restaurierung und Rezeption einer archäologischen Ikone, Schild von Steier, Beiheft 11 (Graz 2021).

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