3. März 2016 / Valentin Delic

NULLA DIES SINE LINEA – Dokumentationszeichnungen in der Tradition Karl Lachers

Kunst- & Naturvermittlung | Museumseinblicke | Neue Galerie mit BRUSEUM

Karl Lacher, Gründer der Kulturhistorischen Sammlung am Universalmuseum Joanneum, gilt als eine der bedeutendsten Museumspersönlichkeiten der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts im deutschsprachigen Raum. Und dies nicht nur wegen seines "Organischen Statutes", durch das er die Sammlungen des Joanneums maßgeblich umstrukturiert und geordnet hat und in dem er die Gründung eines Kunstgewerbemuseums am Joanneum forcierte, sondern auch im Hinblick auf seine praktische museale Arbeit.

So war er es, der die ersten Restaurierungswerkstätten im Gebäude in der Neutorgasse mit einplante und einrichten ließ und die durchgeführten restauratorischen Maßnahmen erstmals in den joanneischen Jahresberichten veröffentlichte.

Abb 1 BLOG NULLA DIES SINE LINEA

Knabe, die „Venus Medici“ zeichnend, Radierung, Ackermanns, London, 1. Juni 1820, Privatsammlung, Graz

Einen beachtlichen museologischen Schatz stellt die reiche Anzahl seiner äußerst genauen und detailreichen Dokumentationszeichnungen dar, die er unter anderem von einer Vielzahl von Objekten der Kulturhistorischen Sammlung persönlich anfertigte – zur damaligen Zeit höchster musealer Standard! Neben kolorierten Zeichnungen bedeutender regionaler Schmiedeeisenobjekte, die nicht zuletzt in ihrer originalen Polychromie erfahrbar werden, liegen auch beeindruckend exakte Zeichnungen der historischen Raumausstattungen vor. Bis zu ihrer Demontage wurden diese sogenannten “Period Rooms” im eigens dafür gebauten Nordflügel präsentiert.

Dokumentation einst und jetzt

Auch heute, im digitalen Zeitalter, ist die Dokumentation des Sammlungsgutes aktueller denn je und stellt nach wie vor eine der musealen Hauptaufgaben dar. Allerdings stehen uns heute, im Gegensatz zum 19. Jahrhundert, moderne Methoden und andere Technologien zur Verfügung: Digitalfotografie, 3-D-Scan, 3-D-Computertomografie sowie digitale Zeichen- und Kartierungsprogramme.

Jenseits aller Zeitmoden wird bis heute das klassische Zeichnen an den akademischen Ausbildungsstätten für Restauratorinnen und Restauratoren gelehrt. Das Atelier für Konservierung und Restaurierung der Kulturhistorischen Sammlung unterhält seit Jahren enge Kontakte zu den unterschiedlichen Universitäten und Fachhochschulen im In- und Ausland und bietet den Studierenden immer wieder die Möglichkeit, ihre dort erworbenen Fähigkeiten in der musealen Praxis umzusetzen.

Die drei Studierenden des Lehrstuhles für Restaurierung, Kunsttechnologie und Konservierungswissenschaft der Technischen Universität München Ronja Emmerich, Charlotte Höpker und Christian Kaiser fertigten im Zeitraum vom 31. August bis 18. September 2015 im Rahmen ihres Masterstudiums in der Ritterstube des Otto von Radmannsdorf, dem sogenannten “Weizer Saal” (Inv. Nr. 7029), verformungsgerechte Ansichts- und Schnittzeichnungen des Portals sowie des Kachelofens an der südwestlichen Wand an.

„Weizer Saal“ aus Schloss Radmannsdorf bei Weiz, Foto: Universalmuseum Joanneum vor 1981

„Weizer Saal“ aus Schloss Radmannsdorf bei Weiz, Foto: Universalmuseum Joanneum vor 1981

Diese Kooperation zwischen dem Universalmuseum Joanneum und der TU München ermöglichte es, theoretisch erlernte Dokumentationstechniken an historischen Beispielen praktisch anzuwenden. Im Rahmen der Lehrveranstaltung “Historische Baukonstruktion und Dokumentation”,  angesiedelt am Lehrstuhl für Baugeschichte, Historische Bauforschung und Denkmalpflege der TU München, sollte eine umfassende Objektdokumentation erstellt werden.

Diese beinhaltet Geschichte, Gestaltung, Konstruktion und Erhaltung historischer Ausstattungsgegenstände oder gebauter Strukturen. Die Ritterstube aus Schloss Radmannsdorf bietet, wie oben beschrieben, ein äußerst interessantes Beispiel sowohl für historische Konstruktionen als auch für die frühe Musealisierung kompletter Raumausstattungen.

Die Ritterstube des Otto von Radmannsdorf

Portal und Ofen der Ritterstube wurden hinsichtlich ihrer Ausgestaltung, Konstruktion und ihres Erhaltungszustandes ausführlich beschrieben und zusätzlich eingehend fotodokumentiert. Der Schwerpunkt der Arbeit lag aber auf der zeichnerischen Dokumentation der Ausstattungsstücke mittels “verformungsgetreuer Handaufmaße”,  welche nicht bloß die Höhe, Breite und Tiefe der Objekte, sondern jede Art von Veränderung berücksichtigt.

Sollte sich ein Balken verzogen, eine Kachel einen Sprung oder der Boden sich auf einer Seite gesenkt haben, so werden all diese Veränderungen vermessen und gezeichnet. Um Messfehler verformter Teile zu vermeiden, werden die einzelnen Elemente von einem Messnetz aus gemessen. Das Messnetz kann je nach den Gegebenheiten vor Ort mit Loten und Schnüren oder mit Laserstrahlen erstellt werden. Seine Position darf über den gesamten Zeitraum der Arbeiten nicht mehr verändert werden.

Für das Portal und den Kachelofen der Ritterstube wurden sowohl Lote als auch Laser in Kombination eingesetzt. Sobald das so konstruierte Messnetz auf das Papier übertragen war, konnte mit der eigentlichen Zeichenarbeit begonnen werden. Alle Ecken, Kanten und Rundungen wurden vom Messnetz aus eingemessen und die einzelnen Messpunkte nach und nach zu einer Zeichnung verbunden.

Da durch diese Methode alle Veränderungen, die Portal und Ofen im Laufe der Jahre erfahren haben, genau erfasst werden konnten, geben die Zeichnungen ein authentisches Bild der historischen Objekte wieder. Der Vorteil einer solchen Zeichnung gegenüber einem Foto ist, dass in der Zeichnung auch Verbindungen, Bauteilgrenzen und verdeckte Bereiche durch gestrichelte oder gepunktete Linien mit aufgenommen werden können.

Durch die intensive Auseinandersetzung mit Portal und Kachelofen während des Messvorgangs und der Beschreibung steigerte sich das Verständnis für die Konstruktion und die Details des Herstellungsprozesses. Die studentische Projektarbeit am Joanneum verdeutlicht die Aktualität von Lachers Vorgehen und zeigt, dass klassische Dokumentationsmethoden trotz der technischen Entwicklung nach wie vor eine Schlüsselrolle spielen und zur Erforschung historischer Baukonstruktion und Formgebung entscheidend beitragen.

Autoren: Valentin Delic, Charlotte Höpker, Ronja Emmerich und Christian Kaiser

Kategorie: Kunst- & Naturvermittlung | Museumseinblicke | Neue Galerie mit BRUSEUM
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