Günter Brus, “Das Zembryo”, 2008, Tusche auf Papier, 35 x 50 cm, Privatsammlung, Foto: Universalmuseum Joanneum/N. Lackner

17. Oktober 2017 / Pia Moser

Eine Reise durch den düsteren Kosmos von Victor Hugo und Günter Brus

Neue Galerie mit BRUSEUM

Victor Hugo wurde zeitlebens für sein literarisches Werk hochgeehrt, doch seine Zeichnungen waren lange Zeit nur einem Kreis von Eingeweihten bekannt. Als im Pariser Salon von 1859 einige Zeichnungen von Hugo ausgestellt waren, lobte Charles Baudelaire dessen „wunderbare Einbildungskraft“, die wie ein „himmlisches Geheimnis“ pulsiere. Was Hugo selbst als Nebenschauplatz und „Zeitvertreib zwischen zwei Strophen“ bezeichnet hat, hatte jedoch wesentlichen Einfluss auf die Künstler der späteren Avantgarde. Günter Brus ist einer von ihnen.

Am 5. Oktober wurde im BRUSEUM der Neuen Galerie Graz eine Ausstellung eröffnet, die erstmals zwei große Einzelgänger der Kunstgeschichte zusammenführt: Nach der Dämmerung nimmt eine Auswahl von Victor Hugos emblematischen und allegorischen Zeichnungen als Ausgangspunkt für eine Präsentation der dunklen Seite von Günter Brus’ Werk. Vor allem aber zeigt die Schau Parallelen im Schaffen beider Künstler auf: eine Vorliebe für die Dämmerstunde, das Arbeiten mit Tinte, Tusche und Bleistift sowie die damit einhergehende Verschränkung von Bild und Schrift.

Günter Brus in der neuen BRUSEUM-Ausstellung "Nach der Dämmerung". Foto: Universalmuseum Joanneum/N. Lackner

Günter Brus in der aktuellen Ausstellung “Nach der Dämmerung. Victor Hugo und Günter Brus”. Foto: Universalmuseum Joanneum/N. Lackner

Im Dunkeln zeichnen

„Wie zufällig spritzte er die Tinte umher, indem er die Gänsefeder zerdrückte, die dabei krachend kleine Geschosse verteilte. Danach fixierte er sozusagen den schwarzen Fleck, der zu einer Burg, einem tiefen See oder einem Gewitterhimmel werden konnte; er feuchtete mit seinen Lippen vorsichtig den Federkiel an und kratzte eine Regenwolke auf das nasse Papier; oder aber er zeichnete eine präzise Horizontlinie ein. Er brachte das Ganze mit einem Streichholz zu Ende, mit dem er feine Details der Architektur wie Spitzbogen einzeichnete oder einem Wasserspeier ein Gesicht verlieh. Er setzte eine Ruine auf einen Turm, und das Zündholz zwischen seinen Fingern wurde zu einem Grabstichel.“ So erinnert sich Georges Hugo, ein Enkel des großen Schriftstellers und Künstlers Victor Hugo, an die Zeichen- und Maltechnik seines Großvaters.

Victor Hugo, “Ansicht einer alten Festung”, 1856, Pinsel, Feder, braune Tusche, schwarze Kreide auf Papier, 12,9 x 21,4 cm, Szépművészeti Múzeum/Museum of Fine Arts Budapest, Foto: Dénes Józsa

“Die Beschreibung vermittelt einen Eindruck von der unkonventionellen Arbeitsweise von Hugo und dessen Experimentierfreude”, führt Kurator Roman Grabner durch die neue Ausstellung im BRUSEUM der Neuen Galerie Graz. “Das Zufällig-Ereignishafte der Formentstehung, die Selbstorganisation eines Tintenflecks waren ihm Ausgangspunkt für seine schnellen und präzisen Setzungen und Akzentuierungen.”

Victor Hugo, "Brücke und Burg Salm", 1862/63, Feder, braune Tinte, braun laviert, mit roter Wasserfarbe gehöht auf Papier 13,5 x 25 cm Musée du Louvre, Paris Foto: bpk / RMN - Grand Palais / Harry Bréjat

Victor Hugo, “Brücke und Burg Salm”, 1862/63, Feder, braune Tinte, braun laviert, mit roter Wasserfarbe gehöht auf Papier 13,5 x 25 cm Musée du Louvre, Paris Foto: bpk / RMN – Grand Palais / Harry Bréjat

“Was bei Hugo die gezielte Ausschaltung einer apriorischen Bildidee war, die er durch das Verspritzen und Verrinnen der Tusche oder das Malen im Dunkeln zu erreichen trachtete, ist bei Brus das kreative Schöpfen aus einem Stream of Consciousness: Der letzte Strich bedingt den folgenden und die Hand weiß noch nicht, was am Ende dabei herauskommt. Hugo suchte nach dem, was sich zeigt, und Brus nach dem, was sich im Prozess entwickelt”, so Grabner.

Günter Brus, Ohne Titel (G. Brus), 1970er-Jahre,´Bleistift und Tusche auf Papier, 57,5 x 80 cm, diethARdT collection, Foto: Universalmuseum Joanneum/N. Lackner

Günter Brus, Ohne Titel (G. Brus), 1970er-Jahre, Bleistift und Tusche auf Papier, 57,5 x 80 cm, diethARdT collection, Foto: Universalmuseum Joanneum/N. Lackner

Über die Schattenseiten unseres Daseins

Mit der aktuellen Ausstellung Nach der Dämmerung zeigt das BRUSEUM 25 Werke von Günter Brus, angeordnet um zehn ausgewählte Arbeiten Victor Hugos, die sich durch ihre herausragende Qualität auszeichnen – auch was das Format betrifft: Der Großteil seiner Zeichnungen ist sehr klein, nimmt teilweise lediglich Briefmarkengröße ein. Durch die Zusammenarbeit mit dem Museum der bildenden Künste in Budapest, dem Louvre, dem Musée des Beaux-Arts in Dijon sowie Galerien aus London und Paris konnte man für die Ausstellung großformatige Werke gewinnen.

Ausstellungsansicht, "Nach der Dämmerung", Foto: Universalmuseum Joanneum/N. Lackner

Ausstellungsansicht, “Nach der Dämmerung”, Foto: Universalmuseum Joanneum/N. Lackner

Getreu dem Titel mutet das Gesamtbild der Ausstellung düster an. Die Parallelen der beiden Künstler liegen jedoch nicht nur in ihrer Vorliebe für die Dämmerstunde, sondern auch darin, dass sie mit den Mitteln zeichnen, mit denen sie auch schreiben: Hugo mit Tinte und Tusche, Brus mit Bleistift und Tusche. „Es ist daher fast schon naheliegend, dass beide auch Schrift und Bild verschränkt haben und Schwarz eine dominierende Farbe in den Bildern ist. Verbunden mit diesem Einsatz von Schwarz als Universalfarbe sind starke emotionale Qualitäten wie die Düsternis, das Geheimnisvolle, das Bedrohliche oder das Hässliche“, beschreibt Kurator Roman Grabner die Werke der beiden Künstler.

Ausstellungsansicht, "Nach der Dämmerung", Foto: Universalmuseum Joanneum/N. Lackner

Ausstellungsansicht, “Nach der Dämmerung”, Foto: Universalmuseum Joanneum/N. Lackner

Insbesondere durch die Konzentration auf Bilddichtungen unterscheidet sich Nach der Dämmerung von allen bisher gezeigten Sonderausstellungen im BRUSEUM, die seit der Gründung vor zehn Jahren stattgefunden haben. In den Ausstellungsräumen finden sich Sitzmöglichkeiten sowie Faksimiles, die nicht nur zum Verweilen, sondern vor allem zu einer genauen Auseinandersetzung mit dem Gezeigten einladen. Dabei folgt die Ausstellung keiner Chronologie oder biografischen Einbettung, sondern durchmisst die dunklen Welten der beiden Romantiker thematisch und öffnet einen Reflexionsraum über die Schattenseiten unseres Daseins.

Günter Brus, "Die Ruine", 1984, Schwarze und braune Tusche auf Papier, 35-teilig, je 21 x 15 cm, Privatbesitz

Günter Brus, “Die Ruine”, 1984, Schwarze und braune Tusche auf Papier, 35-teilig, je 21 x 15 cm, Privatbesitz

„Die größte Ähnlichkeit erzielen die Künstler in ihren visionären Darstellungen, deren mächtige Triebfeder die Nacht ist. Sie haben romantische Landschaften erschaffen, die durchdrungen sind von einer Atmosphäre des Unheimlichen und Schaurigen. Die Zeichnungen verschmelzen Reales und Imaginäres und sind durchwoben von Allegorien der Endlichkeit und des Verderbens.“
Roman Grabner, Kurator

Beim Besuch der Ausstellung ist dies deutlich spürbar: Nach der Dämmerung beginnt die Zeit des Träumens, des Unbewussten, Unmöglichen und Absurden.

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