Am 17. September wurde im Grazer Archäologiemuseum in Schloss Eggenberg der Tagungsband Archäologie in Österreich 1938–1945 präsentiert. Die 31 wissenschaftlichen Beiträge des Tagungsbandes fußen auf dem im Jahr 2015 veranstalteten Symposium „Archäologie in Österreich 1938–1945“ und zeigen, in welchem Umfang Politik und Ideologie des NS-Regimes die archäologische Forschung und Denkmalpflege in Österreich beeinflussten. Das Buch ist in den Shops des Universalmuseums Joanneum sowie über die Historische Landeskommission für Steiermark und den Phoibos-Verlag erhältlich.
Internationales Symposium als Basis eines Tagungsbands
Vom 27. bis 29. April 2015 veranstaltete das Universalmuseum Joanneum in Kooperation mit dem Bundesdenkmalamt im Archäologiemuseum Schloss Eggenberg in Graz das internationale Symposium „Archäologie in Österreich 1938–1945“. Mit dem 27. April wurde für den ersten Tag der Konferenz jenes Datum gewählt, an dem im Jahr 1945 – noch vor dem Ende des Zweiten Weltkrieges in Europa – die drei Gründungsparteien der Zweiten Republik die Unabhängigkeit Österreichs erklärt hatten.
Nun legt das Universalmuseum Joanneum gemeinsam mit der Historischen Landeskommission für Steiermark nur wenige Tage nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges vor 75 Jahren, als mit der Kapitulation des Kaiserreichs Japan am 2. September 1945 der Krieg auch im pazifischen Raum beendet wurde, den 800 Seiten starken Tagungsband mit insgesamt 31 Beiträgen vor, darunter auch fünf Aufsätzen, die nicht Teil des ursprünglichen Symposiums waren. Sie stammen von über 40 Fachleuten aus Österreich, Deutschland, Griechenland, den Niederlanden, Slowenien und den USA.
Rolle der Archäologie in der NS-Zeit
Die Beiträge zeigen, wie das NS-Regime die archäologische Forschung und Denkmalpflege in Österreich vereinnahmte und wie die heimischen Institutionen und die an ihnen wirkenden Wissenschaftler/innen auf die neue politische Ausrichtung reagierten bzw. von der gesteigerten öffentlichen Wahrnehmung zu profitieren suchten.
Die nunmehrige zeitliche Distanz zu den damaligen Ereignissen und der damit verbundene Generationenwechsel in der Wissenschaft erleichterten die Aufarbeitung der Rolle der Archäologie in der NS-Zeit als Zweck- und Legitimationswissenschaft, gelang es doch gerade in Österreich nach dem Krieg zahlreichen belasteten Archäologinnen und Archäologen entweder durchgehend oder mit einer kurzen Unterbrechung in ihren Positionen zu verbleiben bzw. nach einigen Jahren an der Universität, in einer Forschungseinrichtung, in der staatlichen Denkmalpflege oder in den wissenschaftlich-kulturellen Institutionen der Bundesländer ihre Karrieren weiterzuführen und damit auch die nachfolgende Forscher/innen-Generation zu prägen.
Forschende, Institutionen und Wissenschaftspolitik
Betrachtet man die Lebensläufe der österreichischen Prähistoriker, Archäologen und Althistoriker jener Jahre, wird man biografische Gegensätze erkennen. Man findet Persönlichkeiten, die nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten aus ihren Positionen gedrängt, ihres Dienstes enthoben oder zur Emigration in das Ausland gezwungen wurden, gleichzeitig wird man auf Wissenschaftler stoßen, die trotz ihrer rassistischen/antisemitischen Weltanschauung bzw. ihres starken Engagements für das NS-Regime von der Nachkriegsgesellschaft mit Preisen und Ehrungen ausgezeichnet wurden.
Neben Einzelpersonen wie Kurt Willvonseder (1903–1968), der durch seine verschiedenen Funktionen als einer, wenn nicht sogar der einflussreichste Prähistoriker in Österreich während des „Dritten Reiches“ gelten darf, oder Walter Schmid (1875–1951), der über den Zeitraum von fünf politischen Systemen – Monarchie, Erste Republik, Ständestaat, „Drittes Reich“ und Zweite Republik – in der Steiermark als Landesarchäologe wirkte, werden im Tagungsband auch Institutionen und Organisationen wie die Akademie der Wissenschaften, das Österreichische Archäologische Institut oder die Vorläuferorganisation des heutigen Bundesdenkmalamts in den Mittelpunkt gerückt.
Darüber hinaus wartet der Band mit Überblicksdarstellungen zu den einzelnen Bundesländern bzw. Reichsgauen auf. Beispielhaft genannt sei hier die Studie von Daniel Modl zur ideologisch-politischen Vereinnahmung der Archäologie im Reichsgau Steiermark und CdZ-Gebiet Untersteiermark, in der die missbräuchliche Verwendung der Archäologie für Ideologie und Propaganda der Nationalsozialisten in der Steiermark und im nordöstlichen Slowenien in der NS-Zeit behandelt wird.
Eingeleitet und abgeschlossen wird das Buch durch Beiträge, die über Österreich hinausgehen. Einem Überblick über die Wissenschaftspolitik im „Dritten Reich“ mit Schwerpunkt auf den Geisteswissenschaften folgt eine neue Deutung des berüchtigten „Ahnenerbes“ der SS als eines rassistischen Netzwerkprojekts, das ein die Staatsgrenzen ignorierendes Forschungsnetzwerk aufbauen wollte. Den letzten Beitrag des Tagungsbandes bildet die Umschrift der öffentlichen Podiumsdiskussion „Archäologie in der NS-Zeit –Archäologie heute“, die am 28. April 2015 im Kunsthaus Graz geführt wurde.