Die Unsichtbaren der Gesellschaft

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Von der Kunst in den Mittelpunkt gestellt

Dort, wo die Kirche keine Antworten bietet, tummeln sich Wahrsager*innen, Scharlatane und Hausierer mit dubiosen Angeboten. In Krisenzeiten lassen sich Menschen gerne in eine vorgegaukelte, heile Welt verführen. Es ist die Frühe Neuzeit, die das Motiv erstmals aufgreift. Selbst Rembrandt kann sich dem Thema der Armut und ihrer Folgen nicht entziehen. Ist es künstlerische Neugier oder eine frühe Form des Sozialvoyeurismus?

Die Wahrsagerin

Dieses Schabblatt ist eine seitenverkehrte Reproduktion eines Gemäldes, das sich heute im Toledo Museum of Art (USA) befindet. Maler und Schabkünstler sind hierbei dieselbe Person: Nicolaes Verkolje. Der niederländische Künstler lernte die beiden sehr unterschiedlichen Techniken bei seinem Vater Jan I. Der Kunsthistoriker und Kunstkritiker Alfred von Wurzbach schreibt in seinem 1906 erschienenen Niederländischen Künstlerlexikon, dass die „vorzüglichen Schabkunstblätter“ Verkoljes von Kunstfreunden sehr geschätzt wurden.

Eine junge, elegant gekleidete Frau lehnt vor einem herrschaftlichen Haus an einer Steinbrüstung und streckt ihren linken Arm (im Gemälde ihren rechten Arm) einer weiteren Frau entgegen. Diese stammt aus ärmlichen Verhältnissen. Ihre einfache Kleidung ist durchlöchert. Der Bast um ihre Trinkflasche beginnt sich aufzulösen. Sie hat die Hand ihres noblen Gegenübers in ihre genommen, um darin die Zukunft der Neugierigen zu deuten. Die Blicke der beiden Frauen treffen sich. Ein junger Mann steht unmittelbar hinter der Wissbegierigen, hat einen Arm um ihre Schulter gelegt und scheint ihr etwas zuzuflüstern.

Im Park im Hintergrund strömt in einer Brunnenanlage reichlich Wasser. Dies kann ein Hinweis auf den Fons vitae, den Lebensbrunnen, sein. Der Brunnen kann nach christlicher Deutung aber auch als Ort der Liebe oder als Metapher für die Ehe verstanden werden.

Auf einem Erdhügel sitzender Bettler

Ein buckliger, verwahrlost gekleideter, bärtiger Mann sitzt auf einer natürlichen, nicht näher zu definierenden Erhebung und streckt seine linke Hand um Almosen bittend leicht nach vorn. Er hat die Augenbrauen zusammengezogen und den Mund zum Sprechen geöffnet. Die Mimik deutet auf ein verzweifeltes, aber auch vorwurfsvolles Jammern hin. Das Gesicht des Bettlers ist einigen frühen Selbstporträts Rembrandts so nahe, dass es vielfach mit dem Künstler identifiziert wurde.

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Alte Bettlerin

Es handelt sich hier um einen sehr späten Abzug der Platte, da die in der Literatur angegebenen Kaltnadellinien kaum mehr zu sehen sind. Die Darstellung selbst ist durch die vielen Abzüge bereits etwas verwaschen. Das Motiv der Bettlerin als eigene Figurengruppe wurde von Jacques Callot (1592–1635) angeregt und faszinierte wohl auch Rembrandt, der sich schon in seinen frühen Radierungen mit dieser Thematik auseinandersetzte.

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Der Stelzfuß

Bei dieser Darstellung eines in zerlumpten Kleidern und auf einem Holzbein stehenden Mannes kommt Rembrandt der 1622/23 entstandenen Bettlerserie des Lothringer Stechers Jacques Callot (1592–1635) am nächsten. Callots Serie war weit verbreitet und wurde gerne kopiert. Rembrandt unterscheidet sich aber allein durch den Umgang mit der Radiernadel deutlich vom Meister aus Nancy. Arbeitete Letzterer hauptsächlich mit der Parallelschraffur und einem sehr strengen linearen System, so setzt Rembrandt ein wildes Durcheinander von kurzen Strichen ein und erzeugt dadurch einen malerischen Charakter.

Hier ist der unregelmäßige Plattenrand oben und unten auffallend. Für spätere Abzüge wurde der untere Rand der Kupferplatte gerade abgeschnitten, sodass der Stock des Bettlers genau bis an diesen reicht.

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The Young Gipsy

Das Blatt ist die Reproduktion eines Gemäldes des Bologneser Malers Bartolomeo Morelli, genannt il Pianoro. Er war Schüler Francesco Albanis. Werke von Morelli befinden sich in Kirchen Bolognas sowie in der Sala Farnese in Palazzo Pubblico. Laut Bildunterschrift befand sich das Bild The Young Gipsy 1762, zum Zeitpunkt der Entstehung der Graphik, in der englischen Sammlung von Edward Fitzgerald of the Temple. Der französische Kupferstecher Simon François Ravenet der Ältere ging 1743 nach London und arbeitete dort unter anderem für den bekannten englischen Stecher William Hogarth. Zahlreiche Aufträge vom ebenso namhaften Verleger John Boydell folgten, wie das hier gezeigte Blatt.

Durch einen vorgetäuschten Fensterausblick (Trompe-l’œil) erkennt man eine Frau mit einem Kind am Rücken. Das Kind scheint genüsslich zu schlafen. Die Mutter blickt die Betrachtenden direkt an. Sie hat den Mund leicht geöffnet, als wolle sie mit den Beobachter*innen sprechen. Ihre Kleidung ist noch in einem guten Zustand, wenngleich sie diese salopp übergeworfen hat, sodass eine Schulter frei bleibt. Sie trägt einen Hut mit Federn. Die illusionistisch vorgesetzte Mauer ist bröckelig und von Rissen überzogen. All diese Zeichen und der Bildtitel ermöglichen die Zuordnung der Frau zum fahrenden Volk. Es ist eine Unbekannte, eine Namenlose, die uns mit dem etwas scheuen, fragenden Blick in ihren Bann zieht. Der Fensterausblick umrahmt die Person und rückt sie dadurch in den Mittelpunkt. Der Hintergrund ist neutral gehalten und changiert vom Hellen ins Dunkle. Der Ort wird nicht durch eine Umgebung wie eine Landschaft oder ein Dorfgeschehen definiert.