Verstecken oder zeigen?

Zur Achtung der Erinnerungskultur

„Zieh’, Wand’rer, den Hut und bleib andächtig stehn! 
Denn hier ist voreinst ein Mirakel geschehn. 
Im achtzehnhundertundvierzigsten Jahr 
und darnach im dritten, im Heumond, gebar, 
von Fichten umrauscht und vom Almenwind, 
eine sterbliche Mutter ein unsterblich Kind.“

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Zu Ehren Peter Roseggers

Dieses Gedicht auf der Tafel über dem Eingang zum Rosegger-Geburtshaus stammt von Ottokar Kernstock und ist eines von drei Gedichten über das Geburtshaus, die dieser Peter Rosegger gewidmet hat.

Kernstock (25. Juli 1848–5. November 1928) war ein österreichischer Dichter und Augustiner-Chorherr, zuletzt als Pfarrer auf der Festenburg tätig. Seine Biografie ist äußerst problematisch: Er war aggressiver Deutschnationalist, völkischer Verhetzer und Kriegstreiber.

Großdeutsches und deutschnationales Denken war zur Zeit Roseggers und Kernstocks weit verbreitet. Das darf aber weder als Verteidigung noch als Entschuldigung für rassistisches und kriegstreibendes Verhalten gelten. Kernstock mag kein Anhänger des sich damals herausbildenden Nationalsozialismus gewesen sein, er hat sich von diesem sogar distanziert. Trotzdem hat er mit seinem Handeln und Denken, wie auch viele andere Menschen seiner Zeit, dem Nationalsozialismus den Weg geebnet.

Rosegger und Kernstock standen ab 1884 brieflich in Kontakt und trafen sich erst 1906 das erste Mal persönlich. Rosegger veröffentlichte immer wieder Beiträge von Kernstock in seiner Monatsschrift Heimgarten. Gemeinsam schufen sie dann den Gedichtband Steirischer Waffensegen.

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Erinnern oder vergessen?

Warum hängt das Gedicht eines Kriegstreibers und Anhängers der völkischen Bewegung am Eingang zum Rosegger-Geburtshaus? Warum wurde die Tafel nicht längst abgenommen?

Sie wurde – irgendwann in der Mitte des vorigen Jahrhunderts – nicht zu Ehren Kernstocks, sondern zu Ehren Roseggers angebracht. Sie ist Teil der Geschichte Roseggers, aber auch Teil unserer Geschichte.

Hier stellt sich nun die Frage, wie wir mit den dunklen, unrühmlichen Seiten unserer Geschichte umgehen sollen. Diese zu verschweigen, indem wir Objekte entfernen, die uns an furchtbare Zeiten, abzulehnendes Gedankengut oder gar die schlimmsten Verbrechen der Menschheit erinnern, ist nicht der Weg, wie Erinnerungskultur gelebt werden sollte. Eine kritische Auseinandersetzung gerade mit diesen Aspekten der Menschheitsgeschichte ist dringend notwendig, sie sollte nicht totgeschwiegen oder gar „entsorgt“ werden.

Wichtig dabei ist allerdings die Kontextualisierung der Objekte, die uns auf diese Vergangenheiten aufmerksam machen. So haben wir die Möglichkeit, Zusammenhänge sichtbar zu machen und zu erklären. Dafür müssen der Hintergrund der Objekte, deren Entstehungsgeschichte und Beziehung zur Umgebung wie auch der oder die jeweilige Erschaffer*in erklärt und zeitgemäß interpretiert werden.

Peter Rosegger hatte im Laufe seines langen Lebens und in seinem großen Bekanntenkreis immer wieder Kontakt zu Menschen mit Biografien, die heute als äußerst problematisch einzustufen sind. Das darf innerhalb des Rosegger-Diskurses nicht verschwinden oder gar totgeschwiegen werden.

Wir wollen nicht vergessen, dass es Menschen gab und immer geben wird, die sich nicht an ethische und moralische Werte halten. Diese Tatsache zu verleugnen, indem wir sie aus unserem sichtbaren Umfeld streichen, nicht mehr ansprechen oder diskutieren, macht die Geschichte nicht ungeschehen, aber lässt sie in Vergessenheit geraten.

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Die Mauracher-Säule

Auch im Rosegger-Museum in Krieglach gibt es ein Objekt, ähnlich der Tafel mit dem Kernstock-Gedicht am Geburtshaus. 1951 wurde im Garten des Rosegger-Museums in Krieglach eine behauene Säule aus einem Eichenstamm aufgestellt. Erschaffen hat diese Säule der akademische Bildhauer Hans Mauracher (1885–1957). Der Künstler wollte damit ein Symbol für Rosegger schaffen, belebt durch Motive, die Roseggers Werk und Geist versinnbildlichen und den Weg durch den Garten in eine jenseitige Welt weisen: 

„Da ist, wenn wir von unten beginnen, ein Kinderantlitz, in dem man den Waldbauernbuben sehen mag, das aber auch die heute lebende Jugend versinnbildlichen will, die berufen ist, das Werk des Dichters in die Zukunft zu tragen. Dieses Werk verkörpert der wuchtige Block mit der dem Zweck dienenden Inschrift Peter Roseggers Sterbehaus.“

Über dem Block ragt eine ausgezehrt wirkende Männergestalt mit wuchtigem Kopf und hochgezogenen Schultern auf, den Untergang des Bauerntums in der Waldheimat symbolisierend, wie er im Roman Jakob der Letzte dargestellt wird.

„Der ausgemergelte Brustkorb will von Mühsal und Kummer dieses Bauerntums erzählen und gleichzeitig das Vergangene, Jenseitige charakterisieren und damit auf das Sterbehaus hindeuten. Der mächtige Kopf der Säule bezeugt den noch lebenden Geist, die großen, runden Augen den mahnenden Seherblick, die an Bauernkriegsgestalten erinnernde Kopfbedeckung weist auf Wehrhaftigkeit hin, ohne die das Bauerntum nicht sein kann. Die nur angedeuteten Hände klammern sich an den Block, an das Werk, die hochgezogenen Schultern verraten letzte, höchste Kraftanstrengung, um sich zu behaupten.“

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Hans Mauracher

Nach einer neuerlichen Umgestaltung des Gartens, um einen barrierefreien Zugang zum Museum zu schaffen, wurde die Säule aus dem Vorgarten entfernt und vor dem Sommerhaus des Dichters neu platziert. Eine Infotafel gibt nun Aufschluss über die Herstellung und den symbolischen Inhalt der Säule.

Aufgrund von Umbauarbeiten im Gartenbereich des Museums wurde die Säule abgebaut und 2023 an einer anderen Stelle wieder errichtet – ergänzt durch einen erklärenden Text. Denn auch Hans Maurachers Biografie ist hoch problematisch.  

Der gebürtige Tiroler ließ sich nach dem Ersten Weltkrieg in Graz nieder. Er trat der Künstlervereinigung Werkbund Freiland bei und war Gründungsmitglied der Grazer Sezession. 1930 erhielt er die Österreichische Staatsmedaille. 1933 wurde er illegales NSDAP-Mitglied, ab 1939 leitete er die Sektion der „Reichskammer der bildenden Künste Steiermark“. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde er trotz seiner nationalsozialistischen Vergangenheit mehrfach geehrt und ausgezeichnet, so wurde ihm in den 1950er-Jahren der Professorentitel verliehen und er wurde Bürger der Stadt Graz. Kein unübliches Vorgehen in der Nachkriegszeit.

Aufgrund seiner nationalsozialistischen Vergangenheit wurde die Hans-Mauracher-Straße in Graz 2017 von der Expert*innenkommission für Straßennamen in Graz als problematisch eingestuft.