Marko Lulic
Ohne Titel, 2017
30.09.-15.10.2017
Der steirische herbst feiert 2017 sein 50jähriges Bestehen und firmiert in diesem Jahr unter dem Motto „Wher Are We Now?“. Zentraler Bestandteil ist die Auseinandersetzung mit Elfriede Jelineks Opus Magnum „Die Kinder der Toten“. Die Handlung dieses Stückes spielt im Geburtsumraum der Dichterin, im steirischen Mürztal.
Rückweisend auf die verdrängte Kriegs- und Nachkriegsgeschichte Österreichs, deren Auswirkungen bis heute deutlich sind, zieht Jelinek in ihren Textbauten rhizomatische Verbindungen zwischen Untoten, unverarbeiteter, in den Tiefen schlummernder und stets zum Ausbruch bereiter Matrix, zwischen Schuld und Versäumnissen der Geschichte, der beklemmenden und schluchtartigen, von Wasser durchzogenen Wald- und Berglandschaft. Diese schließt, geprägt vom Katholizismus, in Neuberg ein Münster und mit Mariazell den wichtigsten Wallfahrtsort Österreichs ein. 1869 baute sich Kaiser Franz Josef in Mürzsteg eine Jagdhütte, als Jagdschloss dient es seit 1947 dem jeweils amtierenden Bundespräsidenten zur Sommerfrische.
Als Kooperationsbeitrag im Rahmen des steirischen herbst hat das Institut für Kunst im öffentlichen Raum Steiermark Marko Lulić eingeladen, eine temporäre Installation im Mürztal zu realisieren. Dieser besonderen Region mit ihrer politischen, ihrer Kirchen- und Industriegeschichte in Verflechtung mit ausgesetzten, gleichzeitig prägenden Natur- Klima- und Witterungsbedingungen gilt schon seit Längerem ein Augenmerk des Instituts. Lulić wurde ausgewählt, weil er die Frage nach sozialen Werten mit tiefgreifenden gesellschaftlichen Umbrüchen verbindet und sich dem ideologischen Erbe der modernistischen Formensprache in Ost- und Westeuropa widmet.
Auseinandersetzung mit Geschichte, Identität, Untersuchungen architektonischer und skulpturaler Symptomatik sowie Sprache und deren Umformulierung bzw. Neusetzung sind bezeichnend für seine Arbeit. Auch die historische Zäsur von 1989, die weltweite Liberalisierung der Märkte und die starken De-Säkularisierungsbewegungen nach dem Balkankrieg finden immer wieder Eingang in seine Projekte. Schriftsetzungen und Monumente im öffentlichen Raum spielen eine wichtige Rolle in seinem Werk. Auf Grundlage von Formuntersuchungen kultureller, sozialer und politischer Themen werden Bedeutungsschichten durch sorgsam gesetzte Interventionen frei gelegt. Mit Hilfe von Materialbedeutungen und Größenverschiebungen löst er immer wieder ideologisch besetzte Zeichen aus ihrer gewohnten Funktion, entlarvt deren politischen Modellcharakter und macht sie mit einem Schlag in verschiedener Hinsicht lesbar. Neben den Bild- und Schriftzeichensystemen, die unsere öffentliche Welt formen, spielt der Körper als Einschreibungsobjekt und notwendige Bezugsgröße von Wahrnehmung eine ebenso große Rolle.
Für seine skulpturale Setzung wählt er den Neuberger Ortsteil Kapellen, der auch das Zentrum des steirischen herbst darstellt. Sich der Schwere und nahezu Unzumutbarkeit Jelineks Schreibstil entziehend recherchierte er im Roman, in der örtlichen Umgebung und der Geschichte, um ein weithin sichtbares, vielschichtiges und mehrdeutiges Zeichen zu setzen.
Entsprechend unterschiedlicher Verzahnungen dieser Ebenen werden wir Wahrnehmungsdiskrepanzen ausgesetzt, denen wir uns nicht entziehen können: Wir nehmen die Arbeit als weithin sichtbare Information wahr, wir werden von ihr angezogen, gleichzeitig erinnert sie an vorgeschriebene Befehle, die befolgt zu werden haben und an Ordnungsanweisungen. Sprachliche Verkürzung von Inhalten, wir sehen nur einen Begriff, zu Gunsten des Plakativen erinnert an populistische Direktiven, die Ordnung einfordern und keinen Widerspruch erlauben. In der Mehrdeutigkeit des Begriffes erkennen wir auch die verborgene Gefahr der Verschleierung tatsächlicher Vorhaben, die sich nicht erschließen lassen. SAMMELSTELLE erscheint als gängiger, auch im Ort vorkommender Alltagsbegriff als Müllsammelstelle, er bezeichnet in seiner Setzung aber auch ein Zentrum des steirischen herbstes, einen Treffpunkt, andererseits erinnert er in seiner Ästhetik und Positionierung in camouflierter Form auch an Ausgangspunkte zur Verschickung nicht für Wert befundener Menschen während des Zweiten Weltkriegs mit der Absicht, sie nie wieder zurückkehren zu lassen. Ebenso assoziieren wir mit dieser Setzung die verordnete Konzentration von Flüchtlingen, deren zukünftiges Leben vollkommen unsicher ist. Dieses Oszillieren zwischen Ankerpunkt, lauernder Gefahr und Ungewissheit begleitet und sensibilisiert uns und zeichnet die Arbeit aus.
Elisabeth Fiedler und Dirck Möllmann
Eintritt frei
Eröffnung am 30.09. um 11:30 Uhr in Kapellen/Neuberg an der Mürz
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Marko Lulić (AT), geboren 1972 in Wien, lebt als multidisziplinär arbeitender bildender Künstler in der österreichischen Hauptstadt. Lulić wuchs in Österreich und Kroatien auf und studierte in Wien sowohl an der Hochschule für angewandte Kunst als auch an der Akademie der bildenden Künste. Seither widmet er sich in seiner Kunst, die beispielsweise auch in New York, Sydney und Zagreb ausgestellt wurde, der Dekonstruktion von Formen, Zeichen und Monumenten sowie dem ideologischen Erbe des Modernismus in Ost- und Westeuropa. Neben der Arbeit an seinen bildnerischen Werken, für die er unter anderem 2009 mit dem Kardinal König Kunstpreis prämiert wurde, unterrichtet Lulić auch an der Akademie der bildenden Künste in Wien.
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