11. Oktober 2012, Ulrich Becker
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Alte Galerie > Entdecken > Blog > Neuentdeckt: der „Friesische Raffael“
11. Oktober 2012, Ulrich Becker
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Den italienischen Raffael und seine weltberühmten Meisterwerke kennen wir natürlich alle. Den friesischen schon weniger. Kein Wunder, handelt es sich doch um keinen Megastar der Kunstgeschichte, sondern nur einen typischen holländischen Kleinmeister, der aus der friesischen Provinz in die Metropole Amsterdam kam, um auf dem heftig boomenden Kunstmarkt sein Glück zu versuchen: Gerard Wigmana (1673-1741).
Sich selbst wie eine Ware anzupreisen, das uns bestens bekannte self-marketing, gehörte auch damals zum Geschäft. Und so hielt sich der wackere Friese, der kleine, aber feine Bilder lieferte, allen Ernstes für einen würdigen Nachfolger der ganz Großen. Seine holländischen Zeitgenossen haben ihn dann auch – mit einer tüchtigen Portion Ironie – den „friesischen Raffael“ genannt. Spätere Zeiten urteilten nüchterner.
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Seit 1895 besitzt die Alte Galerie eine kleine querovale Kupfertafel, die eine bekannte Begebenheit zeigt, die Plinius d.J. in seiner Naturalis Historia (35,36) überliefert hat: Apelles, der berühmteste Maler der Antike, verliebte sich in sein Modell Kampaspe (oder Pankraste), immerhin die Geliebte Alexanders d.Gr., der sie ihm darauf einfach zur Frau gab. Was uns als fragwürdige Behandlung eines Menschen wie leblose Ware erscheint, galt in jener Zeit als Zeichen herrscherlichen Großmuts und Ausdruck von Wertschätzung gegenüber einem begabten Künstler. In solchen Anekdoten, wie es sie in großer Zahl gibt, steckt also ein Lob der Kunst – und auch ein Eigenlob des Malers, dürfen wir hinzufügen.
Ist die Geschichte also bestens bekannt, verhielt es sich mit dem Künstler völlig anders. Seit über 100 Jahren rätselte die Forschung, wer der Maler des Grazer Bildes sein könne, die Signatur „Gerard“ ließ weniger an einen Vor- denn einen (französischen) Nachnamen denken. Die Lösung lieferte ein jüngst im Wiener Kunsthandel (Herbst 2012) aufgetauchtes Leinwandbild eben jenes Holländers, das fast vollständig mit der Grazer Version übereinstimmt. Außer dem Formatunterschied gibt es Abweichungen in einigen Details; so fehlt auf dem Wiener Bild der kecke Amor auf der Staffelei, dessen Pfeil Apelles schon getroffen hat. Typisch für Wigmana – wie überhaupt für die holländische Historienmalerei des (bereits verflossenen) „Goldenen Zeitalters“ – ist der theatralische, nicht immer klassisch-korrekte Aufputz: Antike, Renaissance und Barock werden munter vermischt – was so in Italien kein Akademielehrer geduldet hätte. Im Holland des „Goldenen Zeitalters“ hingegen schätze man solche Modekombinationen, die sich auch bei Rembrandt finden.
Ein antiker Stoff also, aber in holländischer Manier vorgetragen und mit feinmalerischer Technik ins Bild gesetzt. Mag die kunstgeschichtliche Relevanz auch nicht eben überwältigend sein – der Kurator aber freut sich über jedes Rätsel, das er nach über 100 Jahren lösen kann, wenn ihm ein glücklicher Zufall zu Hilfe kommt. Immerhin: Graz hat einen echten „Raffael“ – wenn auch nur den friesischen.