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Das Institut für Kunst im öffentlichen Raum erinnert in Zusammenarbeit mit der Gemeinde Eisenerz basierend auf umfangreicher Forschung

07.07.2023

Ausgehend von Paul Celans Satz: „Wir schaufeln ein Grab in den Lüften, da liegt man nicht eng“ aus dessen Todesfuge setzt Ramesch Daha mit der Arbeit „Eisenerz 1945“ den Opfern nun ein eindringliches mehrschichtiges Denkmal im Eisenerzer Stadtzentrum und nahe dem Leopoldsteiner See. Wie stets entwickelt sie ihre Arbeit auf Basis umfangreicher Forschung und in enger Zusammenarbeit mit der Gemeinde Eisenerz. Parallel zu Geschichts- und Ortsuntersuchungen sowie zahlreichen Gesprächen recherchierte sie in Archiven sowie im örtlichen Stadtmuseum.

Gestern wurde „Eisenerz 1945“ von Gerhard Niederhofer, Pfarrer Anton Konrad Reinprecht, Elisabeth Fiedler, Ramesch Daha, Fabian Antosch und Bürgermeister Thomas Rauninger eröffnet, v.l., Foto: KIÖR/Haselsteiner-Scharner

In den letzten Kriegsmonaten wurden von den nationalsozialistischen Machthabern zehntausende Jüdinnen und Juden auf sogenannten Todesmärschen vom Ostwallbau ins KZ Mauthausen getrieben. Das größte steirische Massaker verübte der Eisenerzer Volkssturm am 7. April 1945 in unmittelbarer Nähe der Passhöhe des Präbichls, bei dem über 200 Juden ermordet und in der Seeau verscharrt wurden. Im November 1945 wurden die Gräber entdeckt und auf den heute noch existierenden Friedhof gegenüber dem Schloss Leopoldstein umgebettet.

 

In unmittelbarer Nähe dazu realisierte Ramesch Daha, basierend auf umfangreicher Forschung und in enger Zusammenarbeit mit der Gemeinde Eisenerz, eine zweiteilige Arbeit. In dieser übersetzt die Künstlerin historische Postkarten zeichnerisch als „Blaupausen“ und ergänzt sie mit Augenzeugenberichten, die das scheinbar idyllische Bild entlarven. Als überdimensionale geknickte Postkarte am Leopoldsteiner See (Konzept und Umsetzung mit Fabian Antosch) sowie als Installation mit Wandfliesen unterschiedlicher Motive in Eisenerz, die auf Anfrage an städtischen Fassaden angebracht werden können, entsprechen diese einem zeitadäquaten Denkmalbegriff und erweitern ihn.

 

Eisenerz 1945

„Der Massenmord an ungarischen Jüdinnen und Juden am Präbichl gehört zu den sogenannten ,Endphasenverbrechen‘, die kurz vor Ende des Zweiten Weltkrieges seitens der alten Machtelite begangen wurden. In den letzten Kriegsmonaten wurden von den nationalsozialistischen Machthabern zehntausende ungarische Jüdinnen und Juden zur Zwangsarbeit an die österreichische Grenze gebracht, um den sogenannten Ostwall gegen die heranrückende Rote Armee zu errichten. Die militärische Aussichtslosigkeit dieses Vorhabens veranlasste die Nazis Ende März 1945, die ungarischen Juden auf sogenannten Todesmärschen ins KZ Mauthausen zu ,treiben‘. In einer Reihe österreichischer Gemeinden fanden bei diesen Märschen Erschießungen statt. Das größte Massaker in der Steiermark verübten Angehörige des Eisenerzer Volkssturms am 7. April 1945 in unmittelbarer Nähe der Passhöhe des Präbichls, bei dem über 200 Juden ermordet wurden. Auf Lastwägen wurden die Leichen in die Seeau beim Leopoldsteiner See transportiert, wo sie in Massengräbern verscharrt wurden. Im November 1945 wurden die Gräber entdeckt und auf den heute noch existierenden Friedhof gegenüber dem Schloss Leopoldstein umgebettet. Jüdische Flüchtlinge, die als ,displaced persons‘ im Lager Admont auf ihre Auswanderung nach Palästina warteten, errichteten durch die Hilfe des ,American Jewish Joint Distribution Commitee‘ hier eine Gedenkanlage, die im September 1948 eingeweiht wurde“, zu lesen in Todesmarsch Eisenstraße 1945, Terror, Handlungsspielräume, Erinnerungen: Menschliches Handeln unter Zwangsbedingungen von Heimo Halbrainer.
Im Jahr 2000 wurde in Eisenerz, initiiert von Heimo Halbrainer/CLIO und Christian Ehetreiber/ARGE Jugend gegen Gewalt, durch Unterstützung des damaligen Bürgermeisters Hermann Auernigg und Gerhard Niederhofer mit einem Prozess der Erinnerung an das Massaker am Präbichl im April 1945 begonnen, an dessen Ende an dieser Stelle die Errichtung eines Mahnmals stand, das von Jugendlichen der Hauptschule Eisenerz entworfen wurde.

Historische Postkarten werden von der Künstlerin zeichnerisch als „Blaupausen“ übersetzt, Foto: KIÖR/Haselsteiner-Scharner

Erweiterter Denkmalbegriff mit Zeitzeug*innenberichten

In zeitadäquatem und diesen erweiternden Denkmalbegriff interessiert die Künstlerin keine klassische Werkkonstruktion, sondern sie schichtet höchst differenziert unterschiedliche Layer überdimensional über- und ineinander: Historischen Ansichtskarten der Region schreibt sie Zeitzeug*innenberichte des Verbrechens, das sich vom Todesmarsch durch Eisenerz über die Erschießung der Getriebenen am Präbichl, den Transport der Leichen sowie deren versuchte Verbrennung und Vergrabung in der Seeau am Leopoldsteiner See erstreckte, ein. Angesichts und eingedenk dieser Gräueltaten arbeitet Daha in spezifisch konzeptuellem Ansatz aus dem historischen Hintergrund und stellt sich als Reflektor eines unaussprechlichen und unkommentierbaren Gewaltverbrechens zur Verfügung. In der Abnahme der Ansichtskarten und Texte durch Blaupause wird einerseits die potenzielle und immer mögliche Fortschreibung einer schlummernden Matrix erkennbar, andererseits werden Geschichte und Erinnerung, also persönliche Prägungen über Generationen hinweg sowie das Aufeinanderprallen verschiedener Wirklichkeiten sichtbar.

 

Verweist die Entnahme der Farbe an Auslöschung, Vergessen und Verdrängung ebenso wie auf unreflektiert befolgte Dienstanweisung, so verankert sich das Blau in seiner gewonnenen Abstraktion unauslöschlich in unseren Köpfen. Gibt es eine größere Diskrepanz als die von Ramesch Daha gezeigte von vorgegebener Idylle, touristischer Intention und Verklärung mit handschriftlich hinterlegten, kaum erträglichen Tatsachenberichten eines derartigen Verbrechens?

 

Aufgebracht auf elf DIN-A2-großen unterschiedlichen Motiven auf Wandfliesen im Durchgang der Liebfrauenkirche in Eisenerz überschreibt Ramesch Daha im Reproduktionsverfahren Archivalien, trägt so Geschichte ins Jetzt, zitiert ein Gefahrenpotenzial, das jederzeit relevant ist. Auf Anfrage werden zusätzlich einzelne Sujets an Stadtbewohner*innen vergeben, um sie an deren Häuserfassaden platzieren zu können.

 

Der zweite Teil der Arbeit, eine Betonwand in der Wiese, aufgestellt wie eine geknickte Karte, vorne ein „Gruß vom Leopoldsteiner See“ mit eingetragenem Zeitzeugenbericht und dunkler Rauchwolke, an der Innenseite das Sujet einer Ansichtskarte mit unbeschriebenem Innenfeld zeigt, konnte dank der Genehmigung durch den Grundstücksbesitzer Hofer Forst GmbH, Peter und Mario Hofer, auf der Wiese vor dem im Hintergrund des Grundstücks gelegenen Grabmal am Leopoldsteiner See positioniert werden. Es ist die Lücke des nicht Geschriebenen, die uns auf uns selbst zurückwirft und wachhält.

 

 

Die Arbeit entstand in enger Zusammenarbeit mit der Gemeinde Eisenerz. Besonderer Dank gilt hier Bürgermeister Thomas Rauninger, Gerhard Niederhofer, Pfarrer Anton Konrad Reinprecht, Stadtbaudirektor Gregor Ruckhofer, Bernhard Nagler und Petra Tilzer.

 

 

 

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Ramesch Daha

Eisenerz 1945

 

Standorte:

Parkplatz Leopoldsteinersee

Seestraße 9, 8790 Eisenerz

 

Liebfrauenkirche

Lindmoserstraße 1, 8790 Eisenerz

 

www.kioer.at 

 

 

Bildmaterial zum Download finden Sie unter folgendem Link: Ramesch Daha

 

 

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Wir freuen uns auf Ihre Berichterstattung und stehen für Fragen gerne zur Verfügung!

 

 

 

Mit herzlichen Grüßen

 

Daniela Teuschler
+43/664/8017-9214, daniela.teuschler@museum-joanneum.at

Stephanie Liebmann
+43/664/8017-9213, stephanie.liebmann@museum-joanneum.at

Alexandra Reischl
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