Manchmal spürt man, dass etwas kippt, bevor es passiert. Dass die Welt, wie wir sie kennen, an einem Wendepunkt steht. In der Wandmalerei, die Anja Herzog für die Rundung im Foyer entwickelt hat, verdichten sich solche Vorahnungen zu einer bildgewaltigen Vision. Ausgangspunkt ist ihr kleinformatiges Gemälde MYS UNIVERSE aus dem Jahr 2022. Es ist das Porträt einer vielschichtigen Figur zwischen Symbol und Störung. Wie eine Schönheitskönigin trägt sie Schärpe, Kleid, Blumenkranz – und doch stimmt an diesem Bild etwas nicht. Die Haut schimmert ungesund blau, der Körper wirkt dürr, fast knochig. In der einen Hand ein Blumenstrauß, durchzogen von Schlangen, in der anderen eine lässig gehaltene Schusswaffe. Eine Gestalt wie aus einer anderen Welt – fremd, beunruhigend und doch voller Präsenz und Entschlossenheit.
Eine Botschafterin für Werte die verschwinden Diese Figur ist keine Heldin im klassischen Sinne, sondern eine Botschafterin – für Werte, die gerade leise verschwinden. Anja Herzog lässt sie zu uns sprechen, über eine mögliche Zukunft, die dystopisch erscheint, wenn wir dem gesellschaftlichen Wandel weiterhin so blind folgen. Ihre Wandarbeit ist ein visuelles Mahnmal und wirft zugleich Fragen auf: Wohin steuern wir als Gesellschaft, wenn wir Außenseiter*innen verdrängen?
„MYS“ steht nicht nur für den Titel, sondern für die Haltung der Figur. Als genderneutrale Form entzieht sich „MYS“ der binären Ordnung, spielt mit Identität und öffnet Räume jenseits des Gewohnten. Es ist Teil eines roten Fadens, der sich durch Anja Herzogs gesamtes Werk zieht: Außenseiter*innen, „freundliche Monster“, Mischwesen und stille Rebell*innen bevölkern ihre malerischen, skulpturalen und installativen Werke. Herzogs Arbeiten sind surreale Versuchsanordnungen. Die Künstlerin hinterfragt Normen, legt den Finger auf gesellschaftliche Druckpunkte: Was ist Gender? Was ist Familie? Und wer entscheidet darüber, was normal ist?
„Wir erleben gerade eine Zeit der Verschiebung, des Kippens. Sicherheiten lösen sich auf, neue Möglichkeitsräume tun sich auf – im Positiven wie im Negativen. Inmitten dieses Umbruchs ist Anja Herzogs Kunst ein poetischer Kompass. Sie zeigt uns, wie es enden könnte und was vielleicht noch zu retten ist“, so die Kuratorin Katia Huemer.
Wer sich näher mit dem dystopischen Ausblick in die Zukunft von MYS Universe beschäftigen will, dem bietet das Künstlerinnengespräch mit Anja Herzog Anfang September die Gelegenheit dazu. Außerdem sind ein Kunstdruck und eine Postkarte zu Anja Herzogs Werk im Shop des Kunsthauses Graz erhältlich.
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„Once I was MYS Universe“ von Anja Herzog im Kunsthaus Graz: Anja Herzog verwandelt ihr kleines Porträt in eine dystopische Wandmalerei, Foto: Kunsthaus Graz/J.J. Kucek © Bildrecht, Wien 2025
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