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Mehr als ein Modell aber keine Künstlerin: Anna Brus erzählt eigene Geschichte des Wiener Aktionismus

29.03.2023

Das BRUSEUM rückt erstmals das Leben und Wirken von Anna Brus in den Fokus und beleuchtet ihre Rolle im und für den Wiener Aktionismus. Seit 1961 ist sie die Frau von Günter Brus, seine frühe Versorgerin und später Managerin, Inspiration, Co-Akteurin seiner Aktionen, sein ultimativer Rückhalt und seine schärfste Kritikerin. In der Ausstellung erzählt sie ihre Geschichte des Wiener Aktionismus, denn sie ist eine der letzten Zeitzeug*innen, die jenseits stereotyper Schwarzweißmalerei profund Auskunft geben kann. Sie selbst hat den Titel für ihre erste Ausstellung gewählt, ganz schlicht und einfach hat sie sich für ihren ursprünglichen kroatischen Vornamen entschieden: ANA

"ANA. Ihr Leben mit den Wiener Aktionisten" stellt Anna Brus erstmals in den Mittelpunkt einer Ausstellung. Peter Peer (Leiter Neue Galerie Graz), Roman Grabner (Kurator und Leiter des BRUSEUM), Marko Mele (wissen. Direktor UMJ), Foto: UMJ/J.J. Kucek

Anna Steiner wird 1943 in Viškovci in Kroatien geboren, muss als Vertriebene mit Kriegsende ihre Heimat verlassen und gelangt über Ungarn nach Österreich. Als Dreijährige kommt sie mit ihren Eltern und Großeltern in die Steiermark, nicht mehr besitzend, als auf dem Pferdewagen Platz hat. Hier besucht sie die Schule, obgleich sie aufgrund ihrer slawonischen Wurzeln keine leichte Zeit hat und ihr zu verstehen gegeben wird, wo ihr Platz in der Gesellschaft ist. In Lannach lernt sie in einem Gasthaus Günter Brus kennen und muss gleich am ersten Abend seine Zeche bezahlen. Am Rande des Fußballfeldes – Brus gilt als begnadeter Mittelstürmer – lernen die beiden jungen Menschen einander besser kennen und verlieben sich. „Ana sollte später für meine Kunst und auch die Kunst meiner Kollegen eine enorm wichtige Rolle spielen“, schreibt Brus im Rückblick in seinen „Schmähmoiren“. 1961 zieht sie zu Brus nach Wien und gemeinsam teilen sie sich eine Einzimmerwohnung, die zugleich auch Atelier ist. Steiner findet rasch Arbeit und verdient das notwendige Geld, um einerseits den Lebensunterhalt für beide zu bestreiten und andererseits auch die Farben und Leinwände für Brus zu bezahlen. Sie ist nicht nur Geliebte, Freundin und Versorgerin, sondern übernimmt auch eine Art Mutterrolle für ihn: „ich habe ihn immer aufgefangen.“

 

Erste Kontakte zum Zentrum der Avantgarde
In Wien stößt sie auf das Zentrum der Avantgarde und lernt Otto Muehl, Hermann Nitsch und Rudolf Schwarzkogler kennen. „Abends sind wir zusammengesessen und haben Gespräche geführt…“ Es ging meistens um die Kunst in anderen Ländern. Man ist zwar schwer an Informationen herangekommen, doch man konnte trotzdem einiges in Erfahrung bringen. Über diese Gespräche haben sich Stück für Stück die Aktionen entwickelt.“
Anna Brus gilt als wichtigste weibliche Mitwirkende bei den Aktionen der frühen 1960er-Jahre. Sie wird Co-Akteurin und Gesprächspartnerin nicht nur für Brus, sondern auch für Muehl und Schwarzkogler, die ihr eigene Aktionen widmen. Für Nitsch geht sie zum Schlachthof, um die Innereien für sein Orgien Mysterien Theater zu besorgen. Diese helfende Rolle im Hintergrund war für die Aktionisten von nicht zu unterschätzender Bedeutung. Als einzige Frau war sie die ganze Zeit über gleichberechtigt in die Gruppe integriert, auch wenn die Geschichtsschreibung dies bis dato nicht entsprechend gewürdigt hat. Eine Objektivierung ihrer Person und Reduktion auf ihren Körper in der Aktion hätte sie auch nicht akzeptiert, dagegen hätte sie rebelliert. „Mein Großvater hat mich immer ermutigt, meine Rechte zu verteidigen, mich nicht verletzen zu lassen, deshalb war ich logischerweise immer politisch denkend.“

 

Anna Brus als Akteurin
Nach langem Zureden von Otto Muehl führt Brus im November 1964 seine erste Aktion in dessen Wohnung durch, die er nach dem kroatischen Namen seiner Frau Ana nennt. Es war für ihn von Anfang an klar, dass er mit keinen anderen Personen zusammenarbeiten würde als nur mit seiner Frau. Für Anna Brus war diese erste Aktion eine unglaubliche Überwindung, musste sie sich doch das erste Mal vor anderen Personen nackt ausziehen und wurde dabei noch von zwei Fotografen und einem Filmemacher genauestens in den Fokus genommen.

Seit seiner ersten Aktion ist Anna Brus an der Seite ihres Mannes. Neben der Aktion Ana ist sie neben ihrem Mann noch als Akteurin in Silber (1965), Transfusion (1965), Vitriolkabinett (1966), Strangulation (1968) und einigen späteren Aktionen, an die sie sich nicht mehr gerne erinnert, involviert. Günter Brus ist sich der Bedeutung seiner Frau für sein Leben und sein Werk durchaus bewusst: „Sie hat aus mir einen berühmten Künstler gemacht, vorsichtshalber gesagt: ein Genie des repräsentativen Untergrundes.“

Anna Brus ist die Hauptakteurin in Schwarzkoglers erster Aktion Hochzeit. Im Unterschied zu seinen Kollegen Brus, Muehl und Nitsch kommt er nicht aus dem Informel, sondern orientiert sich an den Traditionslinien einer konzeptuellen Malerei, die stark von Yves Klein beeinflusst ist. Von ihm übernimmt er um 1962 die Idee, seine ganze Umwelt blau einzufärben, da er in dieser Farbe die apollinische Lebensweise verkörpert sieht. Am 6. Februar 1965 realisiert er in der Wohnung von Heinz Cibulka seine erste Aktion Hochzeit mit Anna Brus als symbolischer Braut. Zuerst wir die jungfräuliche weiße Leinwand aufgeschlitzt und die dahinter stehende Braut in den Raum geholt, um schließlich mit blauer Farbe beschüttet und entkleidet zu werden. Anna Brus und Schwarzkogler haben eine sehr innige freundschaftliche Beziehung und als ihre Tochter Diana auf die Welt kommt, ist er beinahe täglich in ihrer Wohnung und hilft aus. Als er 1969 durch einen Sturz aus dem Fenster zu Tode kommt, findet man zwei Fotos in seiner Brieftasche: eines seiner Mutter und eines von Anna Brus.

 

Im Nahrungmitteltest (1966) brechen Anna Brus und ihre Kollegin Ziemi Schieb unter einer weißen Fläche hervor und werden von Muehl mit Lebensmitteln vermengt und mit Mehl und Farbe beschüttet. Eine jener ikonischen Fotografien führt er später sogar als Gemälde aus. Muehl hatte sie zuvor in seine Partitur eingewiesen und war im Umgang mit ihnen sehr sanft und behutsam. Die Folgeaktion benennt er als Hommage an Anna Brus sogar nach ihr: St. Anna. Anna Brus spricht von einem väterlichen Freund, der sie und Günter Brus gerade in der Anfangszeit in Wien auch regelmäßig unterstützt hat. Muehl hatte ein geregeltes Einkommen, war er doch Lehrer in einer Klasse für schwerstbehinderte Kinder. Die meisten Aktion der Frühzeit fanden entweder in seiner Wohnung oder seinem Atelier im Perinetkeller statt.

Obgleich sie mit Nitsch ein Leben lang gut befreundet war und regelmäßig seinen Aktionen beigewohnt hat, wollte Anna Brus dennoch nie als Akteurin in seinem Orgien Mysterien Theater mitwirken. Nitsch hat dies akzeptiert und sie auch nicht zu überreden versucht. Sie hat im Hintergrund mitgewirkt und für den Künstler Blut und Innereien vom Schlachthof geholt oder packungsweise Kondome aus der Apotheke besorgt. Als bei seiner 32. Aktion im sogenannten Aktionsraum 1 in München einmal Not am Mann ist, hilft sie dennoch als Mitakteurin aus.

Anna Brus erzählt als eine der letzten Zeitzeug*innen ihre Geschichte des Wiener Aktionismus. Die Ausstellung wird morgen Abend eröffnet, Foto: Universalmuseum Joanneum/J.J. Kucek

Anna Brus war mehr als nur Modell
Anna Brus hat sich nie als Künstlerin begriffen und sieht sich auch im Rückblick nicht als solche, war aber für die Gruppe der Aktionisten auch mehr als nur ein Modell. Obgleich sie kaum Spielraum hatte, in das Konzept oder den Ablauf der Aktionen inhaltlich einzugreifen, hat sie ihr intuitives Verständnis der künstlerischen Anliegen und ihr mutiges Engagement zu einer wesentlichen Mitwirkenden des Wiener Aktionismus gemacht. Es ist aus einer historischen Perspektive auch nachvollziehbar, dass gerade in der kämpferischen und experimentellen Frühzeit, in der die Aktionisten selbst erst ihr künstlerisches Vokabular erarbeiteten und ihre Möglichkeiten ausloteten, den Modellen und Co-Akteur*innen wenig künstlerischer Freiraum zugestanden wurde.

 

Die Fotografien und Filme der Aktionen zeigen mitunter einen voyeuristischen Blick auf den Frauenkörper, der aber mehr den Dokumentaristen als den Intentionen der Aktionisten geschuldet ist. Von Ludwig Hoffenreich, der die meisten Aktionen von Brus und Muehl fotografiert hat, ist beispielsweise überliefert, dass er bei Brus oft gemeckert hat, da seine Aktionen nicht so vordergründig erotisch waren wie die von Muehl: „Ich weiß gar nicht, was ich da fotografieren soll, man sieht ja gar nichts. Kannst Du Anna nicht einölen?“ Das Bild der Frau als passives Subjekt einer von Männern geplanten Aktion ist sicher auch diesem spezifischen Fokus durch die Kamera geschuldet, denn es waren die Aktionisten, die erstmals in der Kunstgeschichte nicht nur den weiblichen Körper als Austragungsort der Macht, sondern den männlichen Körper im Allgemeinen und den eigenen im Speziellen destruiert und der „Selbstverstümmelung“ zugeführt haben. Trotz der Problematik seiner Rezeption aufgrund seiner Verurteilung wegen sexuellen Missbrauchs von Minderjährigen während seiner Kommunenzeit kommt Muehl das Verdienst zu, dass er den weiblichen Körper in seinen Versumpfungsaktionen der sexuellen Konsumierbarkeit entzogen hat, wie er in Werbung und Medien bis heute vorherrscht.

 

 

 

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ANA
Ihr Leben mit den Wiener Aktionisten
Eröffnung:
 30.03.2023, 19 Uhr

Laufzeit: 31.03.‒24.09.2023

Kuratiert von Roman Grabner

 

BRUSEUM, Neue Galerie Graz, Joanneumsviertel, 8010 Graz

www.neuegaleriegraz.at 

 

 

Den ausführlichen Pressetext sowie Bildmaterial zum Download finden Sie unter folgendem Link: ANA
 

 

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Mit herzlichen Grüßen

 

 

Daniela Teuschler
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