Catrin Bolt

Lauftext - Mahnmal, 2013

09.11.2013-30.09.2015



Die Novemberpogrome von 1938 gelten als bezeichnendes Ereignis, da erstmals von offizieller Seite Gewalt gegenüber Juden angeordnet war und Teile des Staatsapparats als auch der Bevölkerung in massiven Übergriffen auf offener Straße gegen jüdische Mitbürger vorgingen. Dieses brutale Spektakel jährt sich heuer zum 75. Mal. In Graz wurde nicht nur die Synagoge in Brand gesteckt; wie viele andere Juden holte man auch den damaligen Oberrabbiner David Herzog nachts aus seiner Wohnung, misshandelte ihn auf offener Straße und bedrohte ihn wiederholt mit dem Tode.


Als Künstlerin, die in unterschiedlichsten Medien arbeitet, wählte Catrin Bolt in ihrem Vorschlag für ein zeitgenössisches Mahnmal das Medium Schrift. Der Bericht von David Herzog wird von ihr entlang jener Strecke, die er zu Fuß durch die Stadt getrieben wurde – ausgehend von seinem damaligen Wohnort in der Radetzkystraße bis zum Griesplatz - als Lauftext auf den Gehsteigen aufgetragen.


Der Stadtraum als zentraler Bereich des öffentlichen Lebens, der besonders auch zu jener Zeit als Ort der Machtbehauptung und Exklusion genutzt wurde, wird zum Erzähler seiner eigenen Vergangenheit. Schrift dient nicht nur als Zeichen der Bewusstwerdung und Reflexion, der Geschichtsschreibung und Kommunikation, sondern wird im Lauftext auch zum Ausdruck skulpturalen Gestaltens. 

 

Dieses Mahnmal ist kein symbolisches oder repräsentatives Denkmal, das in Vertretung für die Bevölkerung Leid darstellt und mahnt, es fordert die BetrachterInnen und bindet sie aktiv in den Gedenkprozeß ein. Über den subjektiven Bericht kann die damalige Situation nachempfunden werden, und man wird nicht nur theoretisch, transformativ informiert, sondern kann real den Weg verfolgen, Sequenzen empfinden, wird unmittelbar und doch subtil berührt. Anhand eines Einzelschicksals wird hier die grauenvolle Dimension menschenverachtenden Massenwahns erkenn- und fühlbar.

 

Die Arbeit funktioniert nicht nur im klassischen Sinne eines Denkmales, das auf die Vergangenheit veweist und für die Zukunft warnt, sondern spricht sowohl über ihre Ausführung als auch über den Textinhalt allgemein Verwendung und Mißbrauch des öffentlichen Raumes zu machtpolitischen Aspekten an. Denn tatsächlich steht immer wieder zur Diskussion, wie der öffentliche Raum begriffen und definiert wird, von wem er besetzt oder einvernommen werden kann, wer nur am Rande Platz hat, und wer im Zentrum steht. Klar ist, dass er nicht Wohnzimmer, also persönlicher Privatbereich ist, aus dem man Unerwünschtes einfach aussperren kann. Heute stellt sich zunehmend die Frage, wie weit er, als grundsätzlich Allen zugänglicher und zur Verfügung stehender Bereich, von ökonomischen Interessen dominiert und geprägt wird. Kunst ist weder mit kommerzieller Werbung vergleichbar, auch dient sie nicht der Behübschung unserer Umgebung, sie spielt in unserem Leben und vor allem im öffentlichen Raum eine besondere Rolle, da sie wesentlich zum Demokratieverständnis und zur Selbstreflexion innerhalb einer Gesellschaft beiträgt.

 

Dr. Elisabeth Fiedler, Leiterin des Instituts für Kunst im öffentlichen Raum Steiermark 

 

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Die Broschüre mit dem ungekürzten Bericht David Herzogs, Abbildungen sowie weiterführenden Texten von Heimo Halbrainer, Gerald Lamprecht und Cornelia Offergeld liegt in der Konditorei Deutsch in der Radetzkystraße und im Wirtshaus „Zu den drei goldenen Kugeln“am Griesplatz und in ausgewählten Kulturinstitutionen zur kostenfreien Entnahme auf.

Die Gedenkspaziergänge des Vereins für Gedenkkultur in Graz besuchen neuerdings auch den „Lauftext“(2013) von Catrin Bolt, mit dem sie an David Herzog, den letzten Rabbiner in der Steiermark erinnert. Auszüge aus seiner Autobiographie druckte Bolt auf den Asphalt entlang des Wegs, auf dem Herzog am 09.-10.11.1938 durch Nationalsozialisten verschleppt und gedemütigt wurde.


In Kooperation mit dem Institut für Kunst im öffentlichen Raum Steiermark.

 

  

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Kathrin Ruth Lauppert-Scholz:

0699 16969441