Christoph Weber
Untitled (Schotterkahn)
Reenactment historischer Schottergewinnung, Betonskulptur
Opus cementitium, ein betonartiges Mauerwerk, gilt als Vorläufer des heutigen Betons und war den Römern bereits vor über 2000 Jahren bekannt. Aus einem Gemisch von Steinen, Sand, Puzzolanen und gebranntem Kalkstein als Bindemittel wurden daraus Wasserleitungen, Hafenmolen, Fundamente und Bauwerke wie z. B. das Kolosseum oder das Pantheon errichtet. Seit dem Altertum also ist dieser immer weiter entwickelte Baustoff auch Zeichen eines gesellschaftlichen Prozesses, einer kulturellen Transformation des Rohen zum Gekochten im Sinn von Claude Lévi-Strauss, der in einer Bildung von Gegensätzen unterschiedliche Weltbilder in Sprache zu fassen suchte. „Kalte Kulturen“, die an traditionellen Strukturen festhalten, stellt er wertungsfrei „heißen Kulturen“ gegenüber, deren gemeinsames Streben auf Fortschritt und Veränderung gerichtet ist.
Beton definiert sich damit als jener Werkstoff, der unsere wirtschaftliche und gesellschaftspolitische Entwicklung seit der Antike begleitet. Sadie Plant weist unter Bezugnahme auf Lévi-Strauss’ Buch „Das Rohe und das Gekochte“, 1964, darauf hin: „food in the raw is life in the raw, and cooking marks the shift into the cultural.“ [1] Bezogen auf den Werkstoff Beton ist dies insofern von Bedeutung, als dessen Ingredienzien Funde aus der Tiefe des Meeres, eruptive Gesteinsmassen sowie bergabgebaute Materialien darstellen. Diese Rohmaterialien werden zusammengefügt, „gekocht“, um kulturelle Maßstäbe zu setzen. Zement dient als hydraulisches Bindemittel, das Beton nicht trocknen, sondern erhärten lässt. Der Erhärtungsvorgang vollzieht sich paradoxerweise nur durch Zugabe von Wasser und macht Beton dadurch zu einer liquiden Substanz. Diese scheinbare Widersprüchlichkeit entpuppt sich als Tautologie, innerhalb derer die Flüssigkeit des Materials ebenso wahr ist wie dessen Stabilität. Darin zeigen sich Schwingungen, Anziehungs- und Abstoßungstendenzen, die Atmung eines Materials, wodurch eindeutige Lesarten menschlicher Entwicklungsvorhaben in ihrer Hinfälligkeit bestätigt werden.
In seiner Arbeit begibt sich Christoph Weber in diesen Schwingungsprozess, hinterfragt Materialien, deren Einsatz und Eigenschaften, um daraus neu zu formulieren und zu formen. Dabei untersucht er Geschichte und Sachverhalte, aber auch Material- und Bedeutungszusammenhänge. Beton als meistverwendetes, unsere verkehrstechnischen Lebensadern ebenso wie Befestigungsanlagen, Repräsentations-, Fabrik- und Privatbauten oder Möbel bildendes und vernetzendes Material, das vor allem seit Le Corbusier neu interpretiert Verwendung fand und findet, ist eines, das von Weber skulptural einzigartig gefaltet, gerollt, geformt und eingesetzt wird. Dem üblichen Verwendungszweck widersprechend öffnet er das Material, begibt sich in das Material und legt sich verästelnde Risse ebenso frei wie die Ambivalenzen von Brüchigkeit und Dauerhaftigkeit, von Liquidität und Stabilität, von Natur und Konstruktion. Er definiert Bruchstellen als konstruktive Bedeutungsereignisse und relativiert in seismografischer Auslotung deren historischen und entwicklungsgeschichtlichen Gehalt.
Der Hintergrund für Untitled (Schotterkahn), 2017, Reenactment historischer Schottergewinnung, Betonskulptur liegt in der alten nebenerwerbsmäßigen Schotter- und Sandgewinnung und -flößerei aus der Feistritz. Wachgerufen hatte diese längst vergessene Tätigkeit das Fotoarchiv des Altenmarkters Franz Rabl. Dessen mediale Dokumentation konnte wieder Verbindung zur Vergangenheit herstellen und deren Bedeutung für die Gegenwart erkannt werden. Flache, eigens für den Materialtransport entwickelte Boote in Kahn-Form wurden bis zum Rand mit Sedimenten gefüllt, die Feistritz als Transportweg genutzt. Die Recherche dieser vergessenen Tradition und jene zu einem in der Technikgeschichte grundlegenden Verfahren, der Trennung und Siebung von Materialien, auf denen die heute existierenden Betonwerke vor Ort basieren, ist für Christoph Webers Arbeit ebenso markant wie sein Nachvollziehen der Entstehung von Beton durch Zerkleinerung und Mahlung, was einen Rückblick auf die alte Mühlen-Technologie der Region in ihrer Verbindung zu Wasser impliziert und gewährt.
Den Abbauprozess nachvollziehend beinhaltet das künstlerische Konzept eine Kooperation mit den regionalen Betonwerken und dem bfi (Berufsförderungsinstitut) Fürstenfeld unter Einbindung Jugendlicher im zweiten Bildungsweg als Arbeitsprozess für die Holzwerkstatt. In dieser Werkstatt wird, alten Fotos getreu, aus Drei-Schichten-Fichtenholz ein 5 m langes, 2 m breites und 60 cm tiefes Transportboot nachgebaut, einzige Abwandlung ist ein sanfter Kiel. Die Verbindung von konzeptueller und handwerklicher Arbeit, für Weber essenziell, beginnt hier in seiner Mitarbeit. Mit Staken fährt er auf dem Wassertransportweg mit Jugendlichen aus Fürstenfeld flussaufwärts, schöpft Sand und Schotter mit originären Gerätschaften und Schaufeln. Mittels der Sieblinie, einem Turm aus Sieben, wird das Material der Kornzusammensetzung entsprechend getrennt. Nach Durchsicht der Regelsieblinien wird entschieden, wie viele Zusätze notwendig sind. Material für Beton mit höchster Gussqualität wird beigefügt. Neben der Aufbereitung der Mischung sind auch die Berücksichtigung von Arbeitsbedingungen und Überlegungen zum Produktionsprozess Teil der Arbeit: Genehmigungen für die Materialentnahme aus dem Fluss sind nicht erforderlich, solange händisch gearbeitet wird. Mehr als 800 l Wasser und drei Tonnen Schotter wurden für die Realisierung der Skulptur mit Kübeln entnommen und analysiert. Schließlich wird das Transportmittel Boot zur Schalung. In die konische Kahn-Form wird der selbstgemischte Beton gegossen, die Skulptur in einer „Pfanne“ „gebacken“. Um ein Verschmelzen von Holz und Beton zu verhindern, wird das Boot mit Polyurethanlack behandelt, sodass Verklebungen ausgeschlossen sind und das Endprodukt, ähnlich einem Kuchen, ideal „gestürzt“ werden kann. Dabei wird eine weitere Materialtautologie evident, denn Bootslacke sind auch der ideale Anstrich für Betonschalungen. Damit „ergibt sich alles wie von selbst, es ist alles schon da.“ [2]
Produktionsbedingungen, Rohstoffgewinnung, technische Entwicklung, soziale Bedingungen werden in dieser Arbeit nicht nur reflektiert, sondern fließen unmittelbar in diese ein. Das Resultat ist eine Betonskulptur, die im umgedrehten bzw. ausgeschalten Zustand das Bild eines vor Unwettern geschützten Bootes darstellt. Die Leichtigkeit der Geste des Umdrehens eines Boots an Land entspricht in ihrer Gegensätzlichkeit zum tatsächlichen Gewicht der tonnenschweren Skulptur dem Verhältnis der scheinbaren Leichtigkeit des Lastentransporters auf dem Wasser und der nicht sichtbaren Schwere der gestülpten Form.
Produziert aus jenem Stoff, der einerseits flüssig bleibt, andererseits nur durch Zugabe von Wasser aushärten kann, lotet diese Skulptur Schnittstellen unterschiedlicher Aggregatzustände und divergierender Bedeutungsebenen aus. Im Changieren, also in ineinander übergehenden Veränderungen zwischen naturaler und kultureller Ausformung, dem Nebeneinander diverser Intentionen, die zu Spannungen führen, wirft das Objekt als erzählendes Element und gleichzeitig als „Gegenstück“ und Negativform Fragen nach Produktionsbedingungen, Mobilität, Prosperität, Wirtschaftlichkeit, technischer Entwicklungsfähigkeit, Effizienz und deren Sinnhaftigkeit auf und wird in einer Neusetzung von Skulptur am Ufer der Feistritz konkretisiert.
- Elisabeth Fiedler
[1] Sadie Plant, „Not yet titled, never will be“, in: Christoph Weber, Uncast, hg. Georgia Holz, Christoph Weber, Leipzig 2015, S. 21
[2] Christoph Weber in einem Gespräch am 19. April 2017
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