Martin Gostner
Matrix 1914 (Der Krieg über mir)
Der Große Krieg, wie der Erste Weltkrieg (1914–1918) ursprünglich genannt wurde, war nach dem amerikanischen Sezessionskrieg (1861–1865) der zweite industrielle Krieg. Am 28. Juli 2014 begann ein militärischer Konflikt zwischen dem damaligen Österreich-Ungarn und Serbien, der innerhalb von Tagen zu einem Krieg erwuchs, der auf verschiedenen Kontinenten und Weltmeeren geführt wurde. Unter der großen Euphorie aller Bevölkerungsschichten, die mit einem kurzen Intermezzo rechneten, gingen die wenigen Stimmen der Sorge und Angst unter.
Verluste und Leid waren verheerend. Am Ende des Jahres 1914 hatte die k. u. k. Armee insgesamt 1.268.696 Mann an Gefallenen, Verwundeten und Vermissten. Insgesamt forderte der Erste Weltkrieg unter der Beteiligung von etwa 40 Staaten rund 17 Millionen Tote. Die neue Dimension des Leids, der Zerstörung, des Todes spiegelt sich auch in den vielen rasch aus dem Boden gestampften Kriegsgefangenenlagern wider, es entstand das erste Lagersystem des 20. Jahrhunderts.
Neben Feldbach/Mühldorf wurde in Knittelfeld mit über 30.000 Gefangenen bei einer Einwohnerzahl der Stadt von etwa 12.000 das größte Lager der damaligen Donaumonarchie errichtet. Weit genug entfernt von Kampfzonen, um Fluchtversuche zu verhindern, und doch angebunden an die Eisenbahn diente dieses Lager nach Fronteröffnung gegen Italien in seiner zweiten Nutzung auch als Lazarett für die Verwundeten der Isonzoschlachten (1915–1918 im Flusstal des Isonzo, heute zum großen Teil in Slowenien gelegen), die in einem letzten verheerenden Giftgasangriff mündeten. Die Verstorbenen fanden auf dem Friedhof von Knittelfeld neben den namenlosen russischen Gefangenen ihre letzte Ruhestätte. Im heute als Neustadt bekannten Gebiet gibt es keinerlei Hinweise mehr auf diese Zeit. Und immer weniger Menschen wissen noch um die Geschichte des Gebiets.
Anlässlich dieser Geschichte wurde vom Institut für Kunst im öffentlichen Raum gemeinsam mit der Stadt Knittelfeld ein künstlerischer Wettbewerb ausgeschrieben, aus dem Martin Gostners Arbeit Matrix 1914 (Der Krieg über mir) als Siegerprojekt hervorging.
Gostner geht in seiner Arbeit vom Begriff des Erinnerungsortes aus, der auf den französischen Historiker Pierre Nora zurückgeht. Verbunden damit ist die Vorstellung, dass sich das kollektive Gedächtnis an einem bestimmten Ort kristallisiert. Das Lager ist ein solcher Ort, anhand dessen der Künstler sein Werk entwickelt und dieses an den Urnenfriedhof vor seinem Hintergrund menschlicher Aschen als adäquate Stelle setzt.
Wir sehen ein Diorama. Dieser Begriff geht auf das griechische dia (durch) und horao (sehen) zurück, lässt uns ganz nahe heran, trotzdem sind wir durch Glas vom Dargestellten getrennt. Dioramen, die vom Künstler in ihrer Form bewusst dem Stil der vorletzten Jahrhundertwende entliehen sind, enthalten grundsätzlich nachgebildete Teile der realen Welt, die wieder zurück auf die Realität gerichtet sind. Kein Abbild, keine Vorstellung, kein Verweis kann die grauenvollen Ausmaße des Krieges vermitteln. Daher zeigt das Diorama bis ins Detail künstliche Realität, die uns gleichzeitig sofort verständlich unmittelbar anspricht und berührt.
Wir sehen eine umrisshaft ausgeführte Figur als darniederliegendes Opfer. Ob es ein erschöpfter Kriegsgefangener, ein Verwundeter, ein Gefallener oder eines der vielen weiblichen zivilen Kriegsopfer ist, bleibt offen.
Matrix (lat. Gebärmutter) bedeutet auch Stamm, Erzeugerin, Ursache und biologisch Keimschicht, und verweist damit auf die immer wiederkehrende, allen Kriegen innewohnende Konsequenz, Menschen gewaltsam zu vernichten. Bedeckt von einer Schicht weißer Watte bleibt die Figur identitätslos, allgegenwärtig und allgemein gültig. Damit öffnet sie uns neue Denkräume des Erinnerns, der Achtsamkeit und der Voraussicht. Watte assoziieren wir sofort mit Heilen, Schützen und Wärmen, womit sie versuchte Wundheilung, die hier in der Funktion des Lazaretts auch gepflegt wurde, anspricht. Im Zusammenhang mit Krieg kippt die Bedeutung unmittelbar in Kälte und Schneewüste. In ihrer Wirkung bleibt sie unscharf, flüchtig und unfasslich.
Die Gestaltlosigkeit innerhalb ihrer Gestalt weist die Arbeit als Stätte des Gedenkens an die Opfer des Ersten Weltkriegs ebenso aus, wie sie an lautlose latente Gefahr vor zukünftigen Schrecken gemahnt. Sie begegnet uns als waches und aktuelles Geschichtsbewusstsein, das gleichermaßen in die Vergangenheit, Gegenwart und in die Zukunft gerichtet und damit zeitlos ist.
- Elisabeth Fiedler
Institut für Kunst im öffentlichen Raum Steiermark
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Standort:
Friedhof, 8720 Knittelfeld
47°12'44.6"N 14°49'06.5"E