Alfredo Barsuglia

Mariainsel


Eröffnung: Juni 2018
Kuratiert von: Günther Pedrotti

Ein Projekt für die 6. Wasser Biennale YAHOOS-GARDEN in Fürstenfeld 2018 und in Kooperation mit dem Institut für Kunst im öffentlichen Raum Steiermark.

Auf Einladung von Günther Pedrotti, dem Initiator der 6. Wasser Biennale in Fürstenfeld, errichtete der Künstler Alfredo Barsuglia eine Insel auf der Feistritz, die er nach dem häufigsten Vornamen der Region benannte, nämlich Mariainsel. Barsuglia bestellte, gleichsam einem Intendanten eines Kunst- und Kultur-Festivals, sechs Kurator/innen, die die Insel während der Sommermonate 2018 mit Kunst, Performance und Musik bespielten.


Imaginierte Insel

 

Mariainsel. Nicht Marias Insel und auch nicht Marieninsel. Eine Mutter Gottes aus Erde, Sand, Steinen, einer hölzernen Plattform und ein paar Bäumen. Abgetrennt vom Festland, ist das kleine Eiland, das sich neben dem Fußgängersteg über die Feistritz in Fürstenfeld befindet, eine eigene Welt für sich. Das war nicht immer so. Zum Ort geworden ist sie im Frühjahr 2018. Gewachsen und genutzt über den ersten Sommer ihres Daseins, hat die Insel inzwischen Geschichte. Vom Künstler Alfredo Barsuglia für die 6. Wasser-Biennale in Fürstenfeld errichtet, widmet sie sich direkt und konsequent der Forderung, in der steirischen Provinz, Wasser mit Kunst als fantastische Wahrnehmungsschulung im Alltag zusammen zu denken.[1]

 

Für die wirklich-unwirkliche Insel stand am Anfang die abenteuerliche Landgewinnung: Mit Schaufel, Bagger und Machete hat sie Barsuglia aus der Landmasse, die beim Zufluss des Hühnerbachs in die pittoreske Biegung der Feistritz hineinragte, herausgearbeitet; aus dem ursprünglich unbestimmten Stückchen Land hat er, wie ein Bildhauer, herausgeholt, was bereits im Erdmaterial vorgezeichnet war und mit gattungsbewusster Ironie den neuentstandenen, ungefähr sieben Meter langen Kanal, der die Landmasse bildhauerisch durchstößt, nach dem regional zweithäufigsten Vornamen Franz getauft. Der häufigste Name in der Region ist Maria, für Frauen wohlgemerkt, nicht für Inseln – davon gibt es weltweit nur eine mit gleichem Namen, nämlich in Tasmanien (Maria Island), und ein Atoll im Pazifik. Die mehrfach lokal verankerte Insel schuf Alfredo Barsuglia durch Besetzung bzw. durch künstlerische Appropriation. Der Rest formte sich quasi natürlich: das steigende und das sinkende Wasser, die Nutzung von Menschen und Tieren und die langsam sich anpassende Vegetation.

 

Durch den Akt der künstlerischen Aneignung kristallisierte sich auf der Mariainsel ein Ort des „Anderen“ heraus. Ein Ort, der Einhalt gebietet und sich dem bloßen Vorbei-Gehen widersetzt; eine Heterotopie, in der neue Gesetzmäßigkeiten gelten, da neu „er- und gefunden“. Er wurde geschaffen, um über eine bestimmte Zeit der Kunst zu dienen, ohne dabei den (beengenden) Rahmen einer klassischen Kunstinstitution vorzugeben: Nach sechs künstlerischen Interventionen, realisiert von sechs unterschiedlichen von Barsuglia geladenen Kurator/innen, ist das skulpturale Stück Land Art, das nur mit einem wagemutigen Sprung übers Wasser erreichbar ist, über die Sommermonate 2018 organisch mit ihrer Umgebung und dem Leben der Fürstenfelder Bevölkerung verwachsen. Als lebendiges und wachsendes Abbild des den Künstler umgebenden privaten Netzwerks diente es dem Festival als regelmäßiger Treffpunkt und war ein klug durchdachtes Instrument zur Schaffung von Internationalität; bei den Teilnehmenden ebenso wie bei den Rezipient/innen. Durch Künstler/innen wie Barbara Kapusta, Justin Lieberman, Cesare Pietroiusti, Julius Deutschbauer & Andrea Maurer, Marina Sula und Rotten Bliss (Jasmine Pender), aber auch durch Kurator/innen wie Anne Faucheret (Kunsthalle Wien), Stephanie Weber (Lenbachhaus München), Kate Strain (Kunstverein Graz), Bettina Kogler (Tanzquartier Wien), Severin Dünser (Belvedere 21) und Thomas Edlinger (Donaufestival Krems) wurde die Mariainsel über einen kurzen Zeitraum zur weithin ausstrahlenden Installation im öffentlichen (Medien-)Raum. Durch das Netz der kuratorischen und künstlerischen Adressdateien gefördert, haben wohl mehr Menschen von Barsuglias Insel gehört und Bilder gesehen, als je von einem Projekt der Wasser-Biennale zuvor.

 

Auch vor Ort entpuppte sich die Installation als wiederkehrender Treffpunkt eines breiten Kunstpublikums: Sie fungierte und etablierte sich als urbane Skulptur, als Bühne und Schauplatz, als Podium und Podest, als Ort der Dekonstruktion und Inspiration und als über die einzelnen Kunst-Ereignisse hinausgehender Umschlagplatz von Ideen.

 

Es ist nicht die erste Aneignung und Erschaffung eines neuen, künstlerisch nutzbaren Raums für Barsuglia. Mehrere seiner Werke bestehen in der Erschaffung frei erfundener Orte, die sich, wie die Insel, häufig an der Grenze des ersichtlich künstlerischen Kontexts befinden. So etwa seine fiktive Zahnarztpraxis in Los Angeles (Oderfla Dental Office, 2006), die, wie das ebenso real gebaute, langsam versinkende Mini-Beauty-Resort inmitten der kalifornischen Wüste (Oderfla Beauty Resort, 2008), zu semi-funktionalen Installationen, zu künstlerisch nutzbaren Foto-Sets wie auch zu real erlebbaren Orten mit geografischen Koordinaten wurden und so in mehreren Gattungen ihre künstlerische Berechtigung haben. Auch in Barsuglias Einzelausstellung Cabinet im MAK – Österreichisches Museum für angewandte Kunst/Gegenwartskunst, Wien, 2015, in der er liebevoll eine private Wohnung eines Kunstliebhabers inszenierte, lud er jeden Dienstag, wenn das Museum kostenfrei allen offen stand, jeweils fünf zufällig oder weniger zufällig Anwesende zum Abendessen ein. Bei der technisch aufwändigen und handwerklich präzise gestalteten Rauminstallation, die gleichzeitig relationales Kunstwerk und Performance war, regierte das Glück. Das Erleben, aber auch die Erfahrung der Inszenierung wurden für das Publikum wie auch für die Gäste zum Inhalt der Arbeit, die das Private und das Öffentliche raffiniert durchmischte und dabei Zugehörigkeit und Ausschluss mit thematisierte.

 

Für das Schreiben dieses Textes erhalte ich im Tausch eine Acrylmalerei des Künstlers mit dem sprechenden Titel „Assoziationsanomalie“. Anders als in der Assoziationsanalyse, die wir als technisches Verfahren zum Aufdecken relevanter Zusammenhänge und Verhaltensmuster etwa aus der gewinnorientierten „Warenkorbanalyse“ kennen, widmet sich Barsuglias „Assoziationsanomalie“ aber nicht der Verkettung von evidenten Mustern, sondern der Assoziation per se, die in der Anomalie die Kraft der Täuschung offenbart. Mit den fotorealistischen Bildern schafft der Künstler figurative Pflanzendarstellungen, wie wir sie von botanischen Zeichnungen kennen. Sie sind eine Zähmung und ein Versprechen von Natur, die sich gerade in der Präzision der Wiedergabe als „Faksimile“, also als handwerklich gemachte und „inszenierte“ Natur, erschließt. Durch das konsequente Affirmieren, Fokussieren und das Entkontextualisieren entsteht ein „Verwirrspiel zwischen Schein und Sein“[2], das Imagination (imago = das Bild) im Wortsinn betreibt.

 

Ganz konsequent verwischt Barsuglia Zuschreibungen. So wie er in allen Gattungen zu Hause zu sein scheint, macht er keinen Unterschied zwischen Realität und Fiktion und sucht ganz bewusst den Assoziationsraum als Ort des fließenden Übergangs. In Barsuglias fiktive Welten tritt man ein, um sich zu verlieren. In ihnen werden die durch unterschiedliche Medien transportierten „Begehrlichkeiten, Schönheitsideale und Moralvorstellungen hinterfragt“[3] und gegen die Sicherheit der Kenntnis von Realität und Zugehörigkeit eingetauscht. Die Option, in einer simulierten Welt zu leben, die der Großunternehmer Elon Musk im September 2018 einmal mehr so prominent verbreitete, stellt sich Barsuglia seit Jahren ebenso feinsinnig, wie von einer surrealen Prägung durchzogen, als künstlerische Kernfrage seines Schaffens: Leben wir vielleicht schon längst in einer Projektion der Wirklichkeit?[4] Durch äußerste Präzision des Abbilds, Verdoppelung und einem suchenden Herausarbeiten von Kultur- und Naturerscheinungen wird Wirklichkeit bei Barsuglia zu oszillierender Hyperrealität. Durch Überaffirmation des Sichtbaren werden Unsicherheiten wach. Zur jeweiligen Zuschreibung, Kategorisierung oder anzuwendenden Kontextualisierung ergeben sich produktive Reibungen von Realitätsebenen. Tatsächlich gleicht Barsuglias Vorgehen auch bei der Schaffung der Mariainsel einem Hologramm einer möglichen Wirklichkeit, das an seinen Rändern und Verzweigungen weitere Realitätsebenen – skulpturale, semantische und urbanistische – durchblitzen lässt. 

 

Inseln tragen gemeinhin einen utopischen Unterton in sich. In der Literatur oft verwendet, sind Inselnamen Trittbretter der Fantasie. So ist etwa in Alfred Anderschs schmerzlichem Roman Sansibar oder der letzte Grund (1957) der Titel wörtlich zu verstehen und begründet in nicht geringem Maße den Erfolg des Buchs, in dem es um einen Tagtraum eines Buben geht, der in Sansibar einen utopischen Ort einer besseren Zukunft sieht, mit. Der Name Mariainsel spielt ebenfalls eine wesentliche Rolle für den Erfolg von Barsuglias Projekt.

 

Die inzwischen bei Google Maps gelistete Landmasse[5] gehört heute der Stadt Fürstenfeld, die sich damit darauf einließ, eine künstlerische Idee, aber auch einen real existierenden Ort als Schenkung anzunehmen, sie zu pflegen und Verantwortung dafür zu übernehmen. Barsuglia ist damit ein Coup gelungen, der sowohl in die Stadtplanung – es handelt sich bei der ausgesuchten Situierung um einen typisch vorstädtischen Transitort entlang eines wenig auffälligen Fußgänger- und Radwegs zwischen Shoppingcenter und Fürstenfelder Freibad – als auch in das Denken über Kunst als Möglichkeitsort schleichend Einzug gehalten hat. Wie Barsuglia selbst auf der Homepage der Mariainsel (www.mariainsel.at) hinweist, finden „nicht nur in Fürstenfeld, sondern auch in größeren Städten, wie in Wien das Donauinselfest, in Budapest das Sziget oder in New York das The Governors Ball Music Festival, kulturelle Veranstaltungen auf Inseln statt. Das Mariainsel-Kultur-Festival könnte als kleinste Festivalinsel der Welt ins Guinness Buch der Rekorde Eintrag finden“ und sich gegebenenfalls auch langfristig als wiederkehrendes Sommerereignis etablieren.

 

Nach dem dreimonatigen Festivalsommer diente die Mariainsel den Enten, Kindern und Liebespaaren gleichermaßen als Rückzugsort. Aber auch Fischer, die zuweilen unter dem dichten Blätterdach der Bäume das Trockene suchten, machten sie sich gern einmal zunutze. Sogar die Feuerwehr, die, als wäre es ganz selbstverständlich, ein Zelt auf die Plattform stellte, um ihr jährliches Spätsommerfest mit Zillenfahrten und Wettbewerben rund um die Feistritz von dort aus zu überwachen, nahm das Eiland vollkommen natürlich als das ihre an. 

 

„Assoziation“ leitet sich vom Lateinischen „associare“ ab, was so viel bedeutet wie „vereinigen, verbinden, verknüpfen, vernetzen“. Alfredo Barsuglia schafft hyperreal vernetzte und vernetzende Kunstwerke. Er imaginiert diese zwischen die Realitätsebenen der Kultur. So wie die Mariainsel werden sie Bild, also imago, ihrer selbst und können aus unterschiedlicher Perspektive betrachtet und angelaufen werden.

 

- Katrin Bucher Trantow (Chefkuratorin, Kunsthaus Graz)
 

 


[1]Vgl. Statement zur Wasser-Biennale von Günther Pedrotti und Franz Rauchenberger: www.wasser-biennale.org

[2]Vgl. Stephanie Weber über Alfredo Barsuglia, vgl. Rosa, Verlag für moderne Kunst, Wien, 2016, Seite 128 f

[3]Vgl. ebda.

Institut für Kunst im öffentlichen Raum Steiermark

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