Werner Reiterer
Ohne Titel
Im April 2020, kurz nach Ausbruch der Corona-Pandemie, schrieb das Institut für Kunst im öffentlichen Raum Steiermark gemeinsam mit dem Land Steiermark und der Kronen Zeitung einen zweistufigen Wettbewerb zur Gestaltung von Skulpturen in Reflexion auf die Corona-Pandemie in Graz und der Steiermark aus.
Das Corona-Virus hatte sich zu diesem Zeitpunkt in unglaublicher Geschwindigkeit über alle Kontinente verbreitet. Gemeinden, Städte und Länder wurden unter Quarantäne gestellt, Schulen, Universitäten und Firmen geschlossen. Das wirtschaftliche, kulturelle und soziale öffentliche Leben war zum Erliegen gekommen, Fern- statt Nahgesellschaft war das Diktum.
Aus der unmittelbaren Erfahrung und in Auseinandersetzung mit der Corona-Pandemie sollten Arbeiten im öffentlichen Raum an mehreren Orten in der Steiermark als „vergegenständlichte Erinnerung“ geschaffen werden und Fragen nach den Auswirkungen auf persönlicher und gesellschaftlicher Ebene aufgreifen.
Eine siebenköpfige Jury entschied sich nach intensiver Beratung für die Umsetzung von drei Projekten aus 220 Einreichungen. Die drei Siegerprojekte von Wolfgang Becksteiner, Werner Reiterer und Michael Schuster zeichnen sie sich durch ihr Erinnerungspotenzial und ihren Blick in die Zukunft aus. An öffentlichen Plätzen in Graz und der Steiermark sind sie Statements zu unserer Gesellschaft und stellen Fragen an dieselbe.
Werner Reiterers Corona-Skulptur besteht aus einer 17.000 kg schweren Kugel aus Eisen und Schwerbeton mit einem Durchmesser von zwei Metern. Sie nimmt Bezug auf das plötzliche Auftauchen des Virus, sein schleichendes Verschwinden und das damit einhergehende mögliche Vergessen, welches bereits Pandemien der Vergangenheit aus unserem kollektiven Gedächtnis entrückt hat.
Die in die Erde eindringende Skulptur visualisiert metaphorisch den Prozess, bei dem ein Virus in die menschliche Zelle gelangt. Viren sind in ihrer Größe um das bis zu 1000-Fache kleiner als menschliche Zellen und besitzen keinen Stoffwechsel. Deshalb dringen sie in Zellen ein und nutzen deren Struktur für ihre Vermehrung. Dieser Infektionsvorgang, der sich in der Realität aufgrund seiner mikroskopischen Kleinheit unserem Anblick entzieht, wird in Reiterers künstlerischer Formulierung zu einem vermeintlich beobachtbaren Bild.
Wie ein Virus wird die Kugel zur Gänze in den Zielkörper – Mensch beziehungsweise Erde – eindringen, mit dem Unterschied, dass die Skulptur circa 100 Jahre für diesen Vorgang benötigen wird. Diese metaphorische Parallele wird durch die materielle Beschaffenheit unseres Planeten ermöglicht, der Materialien mit hohem spezifischen Gewicht im Erdkern und weniger schwere Substanzen an der Erdoberfläche sammelt. Dieses Phänomen der Gravitationskraft erklärt, warum die Erde einen Kern aus Eisen besitzt und somit ein Magnetfeld, welches für uns und alle anderen Lebewesen die Existenzgrundlage darstellt.
Durch das Eindringen der Kugel in die Erde wird der Aspekt der Erinnerung beziehungsweise des Vergessens thematisiert. Die letzte globale Pandemie traf unsere Erde in den Jahren 1918 bis 1920 in Form der Spanischen Grippe und forderte weltweit geschätzte 50 Millionen Todesopfer. Bis zum Ausbruch der jüngsten Pandemie waren sich die wenigsten Menschen dieser geschichtlichen Katastrophe gewahr. Der schleichende Prozess des Vergessens wird durch das Versinken der Skulptur im Boden plastisch erfahrbar. Sowohl Pandemie als auch die Kugel werden nach ihrem Verschwinden entweder im Gedächtnis unserer Nachfahr*innen verankert bleiben oder in Vergessenheit geraten sein.
Werner Reiterer und das Institut für Kunst im öffentlichen Raum Steiermark
Eines von drei Siegerprojekten eines zweistufigen Wettbewerbs zur Errichtung von Corona-Denkmälern in der Steiermark. Die Umsetzung erfolgte durch das Institut für Kunst im öffentlichen Raum Steiermark gemeinsam mit dem Kulturressort des Landes Steiermark, basierend auf einer Idee der Kronen Zeitung.
Institut für Kunst im öffentlichen Raum Steiermark
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