Arbeitssituation im Vermittlungsprojekt "Like it! Facebook friends kuratieren", Gruppe von jungen Menschen sitzen um einen Tisch mit Arbeitsblättern

Arbeitssituation im Vermittlungsprojekt “Like it! Facebook friends kuratieren”, © Essl Museum

26. November 2020 / Karoline Boehm

Kuratieren und Vermitteln: Modelle des vernetzten Arbeitens

Museumsakademie | Museumseinblicke

Wie verändert sich das Museum, wenn Agenden der Vermittlung und des Kuratorischen gleichwertig Raum greifen? Diese und weitere Fragen standen im Zentrum des Museumsakademie-Workshops am 17. und 18. September 2020 im Haus der Geschichte Österreich (hdgö) in Wien. Diskutiert wurden Modelle und Effekte der Kooperation ebenso wie Möglichkeiten der Organisationsentwicklung.

Nicht erst die jüngsten Ausnahmezustände des Lockdowns bringen neue Formen der abteilungsübergreifenden Zusammenarbeit in Museen hervor. Bereits seit Längerem stößt der Wandel gesellschaftlicher Funktionen des Museums auch strukturelle Veränderungsprozesse im Inneren an. Insbesondere die Frage nach der institutionellen Einbindung von Vermittler*innen auf inhaltlicher wie struktureller Ebene steht verstärkt im Fokus und wird in immer mehr Institutionen hinterfragt und neu verhandelt.

Eine zunehmende Orientierung des kuratorischen Feldes hin zu jenem der besucher*innenorientierten Vermittlung lässt sich seit einigen Jahren feststellen. Damit gerieten gängige Trennlinien zwischen Kurator*innen und Kunst- und Kulturvermittler*innen zunehmend in Bewegung; in der Praxis jedoch führte diese Tendenz bislang eher zu einer Aneignung der marginalisierten Position der Vermittlung durch das Kuratorische. Strukturelle Bedingungen – Anstellungsverhältnisse und Entlohnung – oder das traditionelle Machtgefälle zwischen den Akteur*innen blieben überwiegend unberührt. Das Potenzial eines verstärkten Zusammendenkens der verschiedenen Perspektiven sei noch kaum ausgeschöpft, so Carmen Mörsch in ihrer Analyse des „educational turns in curating“ von 2012. Was sich seither getan hat, betrachteten wir in unserem Workshop „Kuratieren und Vermitteln. Modelle des vernetzten Arbeitens“ im hdgö.

James Turells "Ganzfeld Apani" 2011: zwei Personen vor pinken Hintergrund

James Turrell “Ganzfeld Apani”, 2011, Foto: Florian Holzherr

Auch wenn der Workshop der Museumsakademie schon einige Monate zuvor in Planung ging, so lassen die Auswirkungen des ersten und nun bereits zweiten Lockdowns eine Betrachtung dieses zu gestaltenden Spannungsverhältnisses noch einmal dringlicher werden und setzen neue Vorzeichen.

Einerseits lässt die zeitweilige Schließung von Museen und das zumindest temporäre Versiegen globaler Tourismusströme im Kontext von Covid-19 die Prekarität und institutionelle Randständigkeit der überwiegend extern beschäftigten Vermittler*innen vielerorts deutlich zutage treten. Insbesondere für große, normalerweise stark touristisch frequentierte Häuser ergibt sich in dieser Situation die Gefahr eines massiven Braindrains, sollten sie keinen Weg finden, die spezifische Expertise und umfassende Erfahrung ihrer Vermittler*innen – über Phasen der Besuchsebbe hinweg – innerhalb ihrer Institutionen zu halten und zu verankern. Sichtbar wird andererseits aber auch das enorme Potenzial und die neue Notwendigkeit, besuchsunabhängige Vermittlungsangebote zu kreieren oder verstärkt digital Beziehungsarbeit mit dem Publikum zu leisten. Gerade in diesem Kontext kommt es in der Situation temporär geschlossener Museen vielerorts zu stark abteilungsübergreifenden Projekten.

Mit dem Workshop rückte die Museumsakademie Positionen ins Zentrum, die auch ungeachtet dieser aktuellen Brisanz daran interessiert sind, dass Agenden der Vermittlung und des Kuratorischen gleichberechtigt Raum greifen, weil sie hierin vielversprechende Möglichkeiten oder auch Bedingungen für eine qualitative und strukturelle Weiterentwicklung von Museumsarbeit erkennen. Im interdisziplinären Austausch betrachteten wir konkrete Modelle und Produkte des vernetzten Arbeitens ebenso wie der Organisationsentwicklung. Wir fragten danach, welche Ressourcen, Prozesse und Dynamiken es für eine gelingende Zusammenarbeit braucht, und bekamen Einblicke in die Herausforderungen und Möglichkeiten unterschiedlicher Institutionen und Personen.

Kollaboration nach außen ohne Kommunikation nach innen?

Den vielen Praxisbeispielen vorweg lieferte uns Nora Landkammer ein theoretisches Fundament, indem sie im Feld wirksame Diskurse und Handlungsmuster sichtbar machte. Die Basis ihrer Ausführungen bildete eine empirische Studie mit Fokus auf ethnologische Museen in Deutschland, Österreich und der Schweiz.

Wenngleich jeder Museumstyp viele Eigenheiten mit sich bringt, so offenbarte der exemplarische, empirische Blick neben spezifischen doch auch etliche typunabhängige Muster. Sichtbar wurden etwa zentrale und problematische Merkmale der Kommunikation sowie Produktion von Museumsinhalten und -formaten, die ähnlich auch in anderen Museumstypen zu finden sind. Genannt seien hier fehlende Informationsflüsse zwischen Kurator*innen und Vermittler*innen, die zufällige Weitergabe von Informationen am Rande informeller Veranstaltungen, interne Konkurrenz, Unkenntnis über die Tätigkeiten und Projektverläufe der jeweils anderen, die prekäre Vertragssituation der Vermittlung sowie eine Selbstwahrnehmung der Vermittlung als marginalisiert und nicht involviert. Letzteres sei begründet, aber habe teilweise auch zur Folge, dass die eigene durchaus machtvolle Rolle – der Wissenden und Vermittelnden – im Schatten anderer innerinstitutioneller Spannungen negiert wird und somit der Reflexion entzogen ist.

„Once again, within the profession’s internal battle for authority […] the value of shared authority and co- production with external partners/participants/communities, near and far, was subtly underplayed.“ ‒ Bernadette Lynch, 2014

Mit dem Fokus auf Spannungsverhältnisse und Möglichkeiten des kollaborativen Kuratierens und Vermittelns speziell in ethnologischen Museen zeigte Landkammer auf, dass beide Professionen von einem theorieinformierten Standpunkt aus ähnliche Zielsetzungen formulieren, ohne diese in der Praxis miteinander in Verbindung zu bringen. Für Kurator*innen spielten Konzepte einer kollaborativen Museologie eine zentrale Rolle, „die sich aus Ansprüchen indigener Communities auf Sammlungsobjekte und Sammlungsrepräsentation entwickelte“, so Landkammer. Auf der anderen Seite seien es die Ansätze einer kollaborativen Vermittlung, die Vermittlungspersonen darüber nachdenken lassen, wie sie eine Vielstimmigkeit im Deuten der ethnologischen Sammlungen befördern könnten und wie die Partizipation potenzieller, aber oft diffus bleibender Ziel- oder Interessensgruppen aussehen könne. Markant und problematisch zugleich sei dabei eine gewisse Tradition des Paternalismus, insbesondere in Zusammenhang mit Einladungspolitiken und Vorstellungen davon, welche Gruppen ‚erreicht‘ werden müssen, die sonst nicht ins Museum kommen. Etwa im häufig verwendeten Terminus der „communities“ komme zum Ausdruck, dass man sich hier oftmals eine vermeintlich homogene Gruppe vorstellt, die auf Adressierung warte.

Folie aus der Präsentation von Nora Landkammer, Zitat von Sumaya Kassim (2017)

Folie aus der Präsentation von Nora Landkammer, Zitat von Sumaya Kassim (2017)

Deutlich wurde in jedem Fall eine große Kluft in der Kommunikation zwischen den Akteur*innen aus dem Bereich des Kuratierens und jenem des Vermittelns, was den theorieinformierten, teilweise analogen Zielsetzungen eigentlich entgegenläuft. Gerade in der Kommunikation an dieser Schnittstelle sieht Landkammer jedoch die Chance, dem „Kernanliegen einer Demokratisierung und Dekolonisierung“ von ethnologischen Museen näherzukommen. Zu diesem Zweck müsse von beiden Seiten her Macht (im Sinne von Deutungshoheit) abgegeben und das eigene Tun entsprechend reflektiert werden.

Nora Landkammer beließ es nicht bei einem frontalen Vortrag. In zwei an die Teilnehmenden gerichteten Fragen lenkte sie den Fokus noch einmal stark auf die Versprechungen und Zielsetzungen eines kooperativen oder kollaborativen Arbeitens im Hinblick auf die Qualität der Museumsinhalte und der Arbeit mit dem Publikum bzw. anderen Akteur*innengruppen. Aus ihren jeweiligen Rollen und Wirkungsfeldern blickend, brainstormten die Teilnehmenden zu den Fragen „Wozu (mehr) vernetztes Arbeiten zwischen Kuratieren und Vermitteln?“ und „Was soll sich für die Funktion und Nutzung des Museums dadurch ändern?“

In der auf diese Fragen eingehenden kollektiven Sammlung von Standpunkten und Überlegungen wurde mehrfach auch eine weitere Frage aufgeworfen. Nämlich die nach dem institutionellen Selbstverständnis der Institution. So hieß es in einem Statement:

„Wenn Museen zu Orten des Verhandelns, der Diskussion werden sollen, braucht es verschränkte inhaltliche und methodische Expertisen, um diesen Prozess zu begleiten.“

Ebenfalls sehr vielen Positionen gemein ist die Zielsetzung, Museen und Ausstellungen zugänglicher zu machen, Barrieren abzubauen; die Vielfalt an Meinungen und Perspektiven von Besucher*innen wahrzunehmen und diese in die Institution hineinwirken zu lassen. In der Theorie und Praxis sehen viele zentrale Impulse in diese Richtung verankert. Jedoch auch über das Kuratieren und die Vermittlung hinaus wurde dem transdisziplinären Arbeiten eine Schlüsselrolle zugeschrieben.

Transformation von Rollen und Perspektiven

Von Transdisziplinarität kommen wir zur Auflösung disziplinärer Grenzen. Karin Schneiders Beitrag zielte auf eine gemeinsame und kreative Herstellung von Utopien zu Co-Produktionen in Museen und Ausstellungen. Sie leitete die gedankliche und später bastelnde Auseinandersetzung der Teilnehmenden mit „Wünschen, Hoffnungen, Sehnsüchten“ zu eben benanntem Thema durch einen Vortrag über eine Auswahl bemerkenswerter Projekte ihrer vielseitigen Laufbahn als Vermittlerin ein.

 

Menschenrunde um Tisch, "Seriöse Séance", Veranstaltung im Volskundemuseum Wien, 2013

“Seriöse Séance”, Veranstaltung im Volskundemuseum Wien, 2013, Foto: eSeL

Kennzeichnend für all die vorgestellten Projekte ‒ „offene Ding-Akademie (2015, Andrea Hubin, Herbert Justnik und Karin Schneider) im Rahmen der Ausstellung Klimesch. Das Geschäft mit den Dingen, „Seriöse Séance“ (2013; Andrea Hubin, Alexander Martos und Karin Schneider) im Kontext der Ausstellung Gelehrte Objekte? Wege zum Wissen und „Sharing Stories“ (2015‒2017), einem Kooperationsprojekt zwischen Welt Museum Wien, Brunnenpassage, dem Künstler Tal Adler und der Kunstvermittlerin Karin Schneider  – ist die dezidierte Hybridität der Rollen aller Beteiligten und die Abwesenheit gängiger hierarchischer Instanzen im Museum. Die Rolle der Vermittler*innen ist eine stark kuratorische und vernetzende, nach innen wie außen. Die Vermittler*innen operieren mit großem Handlungsspielraum, sie definieren Räume und Themen, wählen gemeinsam mit Teilnehmer*innen Dinge und Objekte als bild- und zeigwürdig aus, sie setzen Handlungsimpulse und initiieren öffentlichkeitswirksame Kommunikationsströme über das Geschehen im Museum. Damit nehmen sie inhaltliche Setzungen vor, die auf einer >die Institution repräsentierenden< Ebene angesiedelt sind und gemeinhin als wenig geteiltes Privileg der Leitungsebene gelten. Institutionellen Rahmen mehrerer der geschilderten Aktionen bildete das Volkskundemuseum Wien, das in den letzten Jahren für seine – den klassischen Handlungsraum des Museums stark erweiternden – Projekte namhaft wurde.

„Es ist immer die Rede von Hierarchie. Die schönsten Momente der Vermittlung sind die der Anarchie.“ ‒ Margit Schweigkofler

Doch auch die Rolle des Publikums – als Rezipierende im Sinne einer One-Way-Kommunikation – erweiterte sich im Kontext der vorgestellten Projekte stark. Besucher*innen der Veranstaltungen und Ausstellungen erlangten eine stark involvierte bis produzierende Position – von der aus sowohl Deutung und Interpretation als auch eigene Themen eingespielt werden konnten. Gleiches geschah auch mit den Teilnehmenden des Museumsakademie-Workshops im Rahmen der bereits erwähnten, durch Karin Schneider angeleiteten Produktion einer „gemeinsamen Versuchsminiatur“.

 

Ein Produkt der interaktiven Workshopsequenz zu Utopien der Co-Produktion von Kurator*innen und Vermittler*innen, Hand hält Plakat mit der Aufschrift "Mehr Ja Ja als Nein Nein"

Ein Produkt der interaktiven Workshopsequenz zu Utopien der Co-Produktion von Kurator*innen und Vermittler*innen, © Museumsakademie Joanneum

Angeregt durch einen zufällig erlangten Textausschnitt und eine kleine Materialbox, gestalteten die Teilnehmenden Sinnbilder, Denkfiguren, Collagen, die teils ihre Wahrnehmungen und Erfahrungen und teils ihre Utopien zu Co-Produktionen von Vermittlung und Kuratorischem abbildeten. Die Sicht und Darstellung der Einzelnen blieb dynamisch, denn die gestalterischen Produkte wechselten von der Urheber*in zu einer weiteren Person. In der weiteren Bearbeitung wurden die Versuchsminiaturen kommentiert, erweitert und verschieden interpretiert. Sehr sichtbar machte diese Übung die Fülle an Perspektiven, Angelpunkten der (Zusammen-)Arbeit und Kontexten, über die sich nachdenken lässt, will man zu einem produktiven Austausch jenseits streng disziplinären Denkens innerhalb des Museums gelangen.

Gemeinsam zu einer besucher*innenorientierten Ausstellung

Während die meisten Versuchsminiaturen neben Perspektiven auch Barrieren der Zusammenarbeit zum Thema hatten, konnten uns Michaela Kronberger und Nathaniel Prottas vom Wien Museum bereits die Früchte einer durchwegs als gelungen erlebten Zusammenarbeit im Museum vorstellen. Mit ihrer Präsentation und Exkursion gaben sie den Auftakt für die Auseinandersetzung mit Formen des vernetzten Arbeitens im Kontext unterschiedlicher institutioneller Settings. Als gemeinschaftliches Projekt von Leitung und Mitarbeiter*innen der Kulturvermittlung und der Kuratorin (Archäologie und Geschichte bis 1500) des Wien Museums aufgesetzt, planten sie die Neugestaltung und Umbenennung des Neidhardt-Festsaals – eines Außenstandorts des Wien Museums in den Tuchlauben 19 in der Wiener Innenstadt, in dem profane Fresken aus dem frühen 15. Jahrhunderts mit Darstellungen etwa zu den Themen Tanz, Musik, Neidhart, Verhaltensnormen, Essen, Trinken, Klassensysteme, Konflikt, Kleidung, Transport zu sehen und zu erkunden sind.

Nach einem Impulsvortrag zum Projektverlauf und den wesentlichen Inhalten besuchten wir die Ausstellungsräumlichkeiten und konnten die puristisch-klare, jedoch inhaltlich detailreiche und akzentuierte multisensorische Ausstellung sowie die originalen, sorgfältig restaurierten Fresken betrachten – samt Erläuterung ihres Inhaltes, des Entstehungsprozesses und Kontextes in Text, Film und Hands-on-Objekten.

Hands-on-Display im Neidhardt-Festsaal, Hände in Handschuhen arbeiten

Hands-on-Display im Neidhardt-Festsaal, © Museumsakademie Joanneum

Bemerkenswert erscheint, wie hier unterschiedlichsten Besucher*inneninteressen und -bedürfnissen auf wenigen Quadratmetern mit historisch vorgegebener Aufteilung Raum gegeben werden konnte. Ebenso beachtlich ist, dass Erfordernisse der Vermittlung, der Kuratorin, der aufsichtshabendenden Kolleg*innen sowie vieler weiterer im Prozess involvierter Personen miteinander vereint werden konnten und ein gelungenes Endprodukt entstehen ließen. Auch die wichtige Rolle der Gestalterin Larissa Cerny und des Architekten Robert Rüf, die die verschiedenen Anliegen zu berücksichtigen und umzusetzen wussten, wurde mehrfach betont.

Innenansicht des neugestalteten Neidhardt-Festsaals mit Plakaten, Computer und Glasvitrinen

Innenansicht des neugestalteten Neidhardt-Festsaals, Foto: Lisa Rastl, © Wien Museum

Zusammen Denken als Programm

Innerhalb des Wien Museums handelte es sich um ein erfolgreiches Pilotprojekt, das nach Fortsetzung ruft, bis dato aber noch ein Einzelfall ist. Am zweiten Tag der Veranstaltung gaben uns Referent*innen Einblick in Institutionen, in denen Formen der Kooperation, Kollaboration oder das Kuratieren im transdisziplinären Team generell ein Grundprinzip darstellen und bereits etabliert sind. Unterschiedliche Rahmenbedingungen wurden geschaffen oder Gelegenheiten genutzt, um zu ermöglichen, was andernorts – so der Tenor in vielen Gesprächen im Laufe der Veranstaltung – immer wieder an borniertem Desinteresse, fehlendem Verständnis, Profilierungsneurosen oder gar bürokratischen Strukturen scheitert.

„Ohne die Position der Direktorin, die voll und ganz diese Haltung unterstützt, wäre das nicht vorstellbar.“ ‒ Eva Meran

Im ersten Beitrag des Tages lag der Blick auf dem gastgebenden Haus der Geschichte Österreich (hdgö). Eva Meran, die den gesamten Workshop in Kooperation mit der Museumsakademie maßgeblich konzipiert hat, und Stefan Benedik sprachen ausgehend vom Leitbild des Museums über den zentralen Stellenwert, den das „zusammen Denken“ in der vermittlerisch-kuratorischen Praxis des hdgö einnimmt.

Workshop-Sequenz im hdgö mit Besucher*innen auf weißen Blöcken sitzend und bunten Post-Its auf den Wänden

Workshop-Sequenz im hdgö, © Museumsakademie Joanneum

Der Kurator und die Teamleiterin der Vermittlung gaben Einblick in die enge Verzahnung ihrer Tätigkeiten mit jener von weiteren Mitarbeiter*innen des Hauses. In einem Rundgang durch die kürzlich überarbeitete Hauptausstellung wurden verschiedene Resultate des gemeinsamen Arbeitens vorgestellt. So zum Beispiel einzelne Displays, die prozesshaft angelegt sind und Besucher*innen einladen, über Sicht- und Unsichtbarkeit von Objekten im Museum zu entscheiden und damit die Frage nach Deutungsmacht reflektieren. Oder auch Raumordnungen, die nach gemeinschaftlicher Evaluation verändert wurden und nun mehr Platz für die Arbeit mit Besucher*innengruppen an zentralen Stellen in der Ausstellung geben, bis hin zu digitalen Ausstellungsflächen, die nur von Besucher*innen befüllt und damit laufend erweitert werden. Neben der laufenden Aktualisierung der Hauptausstellung (aktuell etwa mit der „Ibiza-Affäre“ des letzten Jahres) werden einzelne Bereiche überhaupt entsprechend eines Rapid-Response-Collecting-Ansatzes dynamisch kuratiert. Aktuelle Themen bilden hier zum Beispiel die „Fridays for Future“- oder „Black Lives Matter“-Bewegungen bzw. die Zeit des Lockdowns im Frühjahr 2020. Gemeinsam gearbeitet wird auch an vielen Angeboten des Museums im Netz, so zum Beispiel an der Web-Ausstellung Österreich anderswo oder den zeitgeschichtlichen Unterrichtsmodulen.

„Die Textarbeit ist so eine Art Herzstück unserer Zusammenarbeit geworden, eben auch weil sie so leicht zu institutionalisieren ist.“ ‒ Stefan Benedik

Die hier zum Ausdruck kommende Museumspraxis spiegelt die Haltung der Direktorin Monika Sommer wieder und wird durch diese ermöglicht. So schrieb sie die enge Zusammenarbeit von Vermittlung und Kuratierung in den Leitlinien des Museums fest, ebenso wie die zentrale Rolle von Interaktion und Partizipation. Eine weitere gewichtige Weichenstellung und Basis für eine qualitätsvolle Arbeit liegt in der Festanstellung und damit Absicherung aller Mitarbeiter*innen der Vermittlung. Die Situation der Museums-Neugründung im Jahr 2018 wurde und wird als Möglichkeitsraum betrachtet: „nicht nur im Bezug auf die Besucher*innen, sondern auch hinsichtlich eines Neudenkens gängiger interner Museumsstrukturen“, so Benedik und Meran in ihrem Abstract zum Beitrag.

Neben diesen Grundvoraussetzungen erkannte das Team des hdgö auch die Situation des Lockdowns als Gelegenheit, bis dato angedachte Vorhaben nun tatsächlich zu realisieren und eine neue Stufe des kooperativen, transdisziplinären Arbeitens einzugehen. Mitarbeiter*innen, die normalerweise vor allem die personale Vermittlung gestalten, haben während der Schließung des Museums stark in anderen Bereichen und Projekten gewirkt. Genannt werden kann die Entwicklung eines Audioguides, die Überarbeitung von Teilen der Hauptausstellung, Verbesserungen im Bereich Barrierefreiheit oder die Entwicklung hausadäquater Möglichkeiten der Besucher*innenforschung und Besuchsevaluierung.

Dynamisches Kuratieren und die Suche nach der Zauberformel

Keine institutionelle Neugründung, aber ein Prozess substanzieller Transformation und eine – auch im hdgö zentral gesetzte – Bereitschaft zur institutionellen Selbstreflexion charakterisieren den Ausgangspunkt der heutigen Arbeitsweisen am Museum für Kommunikation in Bern, über die Gallus Staubli in seinem Vortrag sprach.

Innenansicht aus dem Museum für Kommunikation

Innenansicht aus dem Museum für Kommunikation in Bern, © Museum für Kommunikation, Bern

Das Motto des Museums lautet „Es dreht sich alles um Dich und Du bist nicht allein“. Wie sich nicht nur zwischen diesen Zeilen lesen lässt, wird Kommunikation hier großgeschrieben. Sie ist nicht nur das thematische Dach der Institution, sondern auch Basis seiner agilen Arbeitsweise – projektförmig, schrittweise, iterativ, in abteilungsübergreifenden Teams, mit viel Raum für Austausch über die Ideen und Vorstellungen aller Beteiligten.

„Wir haben diese Festangestellten-Stellen geschaffen – das war entscheidend.“ ‒ Gallus Staubli

Mit dem seit 2017 im MfK neu ins Leben gerufenen Berufsbild der Kommunikator*innen und durch die allgemeine Bereitschaft zentraler Akteur*innen des Museums wurde in Bern die Grundlage für etwas geschaffen, das von Gallus Staubli heute als die Praxis des >dynamischen Kuratierens< bezeichnet wird. Das dynamische Kuratieren beschreibt einen Modus enger Zusammenarbeit zwischen Kurator*innen und Vermittler*innen. Als sehr zentral stellt Staubli das Etablieren von verschiedenen „Sitzungsgefäßen“ – verschiedenste Formate des Austausches – heraus. Formate wie das „weeklySCRUM“, das „ExpoLAB“, der „LunchInput“ und weitere bieten den Mitarbeitenden in regelmäßigen Abständen einen Rahmen, um in unterschiedlicher Zusammensetzung, Atmosphäre und Zielsetzung zusammenzukommen und verschiedene Fragen und Themen des professionellen Alltags zu besprechen.

Organigramm mit einigen Sitzungsformaten und gelb markierten Überschriften

Organigramm mit einigen Sitzungsformaten, © Museum für Kommunikation, Bern

Dies ermögliche eine Kultur des Zuhörens und in Abständen einen planmäßigen Perspektivenwechsel. So begibt sich das gesamte Team der Kommunikator*innen – die normalerweise durchgängig im Ausstellungsraum präsent sind, Besucher*innen begleiten, Impulse setzen, Interaktionen initiieren aber eben auch kuratorische Tätigkeiten innehaben – einmal im Jahr auf ein mehrtägiges „Retraite“, auf eine Art Teamklausur mit Tapetenwechsel. An diesen Tagen übernimmt die restliche Belegschaft des Museums den Publikumsbetrieb – von der Kassa bis zur Besucher*innenbetreuung. Auch die Themenfindung ist etwas, das in einem kollektiven Prozess jenseits hierarchischer Strukturen passiert:

„Grundsätzlich ist die Themenfindung ein sehr basisdemokratischer Prozess“. ‒ Gallus Staubli

Alle vier bis fünf Jahre gibt es eine gemeinsame Sitzung inkl. Museums-Café-Team, die dort eingebrachten Themen werden dann kollektiv in einer Liste der Top Ten gerankt.

Innerhalb der Ausstellungen gibt es verschiedene Bereiche, in denen sehr viel dynamisch kuratiert wird. In abgesteckten Bereichen haben die Kommunikator*innen hier komplette Gestaltungsfreiheit, teilweise stehen sie im Austausch mit einer*einem zuständigen Kurator*in und besprechen die Überarbeitung. Neben diesem Prinzip der geregelten Teamarbeit gibt es im MfK Besonderheiten im zeitlichen Ablauf einer Ausstellungsproduktion, die der Vermittlung ungewöhnliche Möglichkeiten einräumen und ihresgleichen suchen: Wechselausstellungen, die in der Regel nie ohne Vermittlung entwickelt werden, werden grundsätzlich einen Monat vor der offiziellen Eröffnung übergeben und gehören diesen Monat der Vermittlung. Dieses Zeitfenster lässt einen gänzlich anderen Grad an inhaltlicher und methodisch-konzeptioneller Vorbereitung und Gestaltung der kommenden Vermittlungsarbeit zu als gemeinhin üblich.

Trotz oder gerade wegen der großen Anerkennung, auf die das Beispiel MfK stößt, ist es Staubli wichtig festzuhalten, dass selbstverständlich auch in der Praxis des MfK Konflikte auftreten und die Suche nach der Zauberformel nicht aufhört.  Auf die Frage, wie das MfK das oben beschriebene Reset geschafft hätte, antwortet er: „Wir haben es nicht zu 100 % geschafft – es sind auch Leute auf der Strecke geblieben.“ Die Suche nach der Zauberformel verlagert Gallus Staubli im Rahmen seines Beitrags dann auch ins Kollektiv, als er die Teilnehmenden bittet, Gelingensfaktoren des gemeinsamen Arbeitens zu notieren und sinnbildlich als Ingredienzien in einen großen Zauberkessel zu werfen. Neben „Spaß und Mut“ finden sich hier Soft Skills wie „Kritikfähigkeit, Risikofreude, Ausdauer, Lust auf frische Ideen“ und Hard Facts wie „Festanstellung der Vermittler*innen, Budgethoheit“ und „flexible Displays“.

„Einfach mal frech sein.“ Vom Grenzen Weiten auf Augenhöhe

Als Kurator und Vermittler in einer Person wirft Andreas Hoffer den Blick in seinem Vortrag einige Jahre zurück und berichtet von Projekten und Spielräumen in einer Institution, die es nicht mehr gibt: dem Essl Museum. Eine zulassende Grundhaltung und der Wunsch des privaten Stifterpaares, Kunst zugänglich und erfahrbar zu machen, ließen einen großen Freiraum für die Kunstvermittlung entstehen, die es auch ihrerseits verstand, diesen zu erkennen und sukzessive zu vergrößern. Mit dem Fokus auf verschiedene Kooperationsprojekte des Essl Museums ‒  Festival der Tiere. Eine Ausstellung für Kinder. Erwachsene willkommen (2011), Like it! Facebook friends kuratieren (2013) und Weltenbummler/Abenteuer Kunst (2014) ‒ sowie ticket to the moon (2019), einem Projekt der Kunsthalle Krems, machte Hoffer deutlich, wie sich Rollen innerhalb des Museums in Bewegung bringen lassen und wie Deutungshoheit erst übernommen, dann geteilt und dann abgegeben werden kann.

Arbeitssituation im Vermittlungsprojekt "Like it! Facebook friends kuratieren", Gruppe von jungen Menschen sitzen um einen Tisch mit Arbeitsblättern

Arbeitssituation im Vermittlungsprojekt “Like it! Facebook friends kuratieren”, © Essl Museum

In den vorgestellten Projekten wurde die Rolle der Kuratierenden bewusst abgegeben und von Kindern einer Volksschulklasse, Facebook-Friends oder Klientinnen eines Sozialprojekts übernommen. Der Grad an Wagnis, Vorschussvertrauen und Experimentierfreude wird deutlich, macht man sich bewusst, dass die Personen nicht etwa eine Ausstellung mit profanen Gegenständen ihres eigenen Alltags gestalteten, sondern eine mit hochkarätigen Originalen eines modernen Kunstbetriebs und -kanons, die mittlerweile als Dauerleihgaben im Bestand der Albertina sind.

Wenn Hoffer von einem „ergebnisoffenen Prozess auf Augenhöhe“ spricht, dann ist hier nicht in erster Linie das Spannungsverhältnis zwischen Kurator*innen und Vermittler*innen gemeint, sondern vielmehr jene auch im Eingangsbeitrag von Nora Landkammer angesprochene machtvolle Position, die gerade auch die Vermittlung gegenüber den verschiedenen Nutzer*innengruppen des Museums einnimmt und die allzu oft – von den innerinstitutionellen Schieflagen überschattet – außer Acht gelassen wird. Hoffers Kollegin aus Essl-Museums-Zeiten, Kulturvermittlerin Mela Maresch, verdeutlicht jedoch auch das Verhältnis unter den Kolleg*innen selbst:

„Das war nicht demokratisch, wir waren soziokratisch. Wenn eine*r was nicht wollte, haben wir es nicht gemacht. Oder wir haben so lange diskutiert, bis alle zufrieden waren.“

Gezeigt haben die vielen Beispiele und Diskussionen im Rahmen des Workshops, dass eine funktionierende, qualitätsvolle und inspirierte Zusammenarbeit zwischen Kuratierenden und Vermittelnden oder auch eine Auflösung ihrer disziplinären Grenzen ein Bekenntnis der Leitungsebene zu derselben braucht, die Hand in Hand geht mit der Anerkennung wie Wertschätzung der verschiedenen Wissensformen und des jeweiligen Erfahrungsschatzes der Bereiche. Ebenso essenziell sind adäquate Beschäftigungsverhältnisse für alle Beteiligten. Darüber hinaus hat sich gezeigt, dass die Formen der innerinstitutionellen Zusammenarbeit in enger Verbindung mit dem Selbstverständnis des jeweiligen Hauses stehen. Modelle des vernetzten Arbeitens im Kuratieren und Vermitteln, transdisziplinäre Projektteams, experimentelle Rollenwechsel und -erweiterungen entstehen insbesondere dort, wo das Museum als Ort der dynamischen Auseinandersetzung definiert wird. Das prozessuale, dialogische Arbeiten der Vermittlung scheint hier mehr und mehr Gewicht zu erlangen, wo die Beziehung zum Publikum aktiv gestaltet wird und auf dessen Bedürfnisse und Wahrnehmungen reagiert wird. Besonders spannend erscheint, dass hier teilweise im punktuellen oder weitreichenderen Abgeben oder Öffnen von Deutungshoheit eine Chance zur institutionellen Erneuerung erkannt wird und dies zugleich als Modus genutzt wird, um gesellschaftliche Relevanz zu erlangen. Der Zukunft des Museumsschaffens und -wirkens werden hiermit in jedem Fall neue Türen geöffnet.

Kategorie: Museumsakademie | Museumseinblicke
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