24. Mai 2019 / Ulrich Becker

Happy birthday, Ma’am – Queen Victoria zum 200. Geburtstag

Museum für Geschichte

Es muss nicht immer nur der Brexit sein, wenn von Großbritannien die Rede ist. Heuer, am 25. Mai, ist der 200. Geburtstag der „Mutter des Empire“, an das manche Briten sehnsüchtig zurückdenken, gerade heute. Ausgerechnet ein britischer (!) Historiker in Cambridge, John Robert Seeley, hat schon 1883 bemerkt, dass das British Empire in einem Moment der Geistesabwesenheit („in a fit of absence of mind“) geschaffen worden sei. Aber der "Imperial Sunset" sollte noch kommen: "Times are changing."

Als Victoria am 28. Juni 1838 in Westminster zur Königin von England; Schottland und Irland gekrönt wurde, konnte niemand ahnen, dass aus dem nicht eben beeindruckenden, fast zu Tode bemutterten und in einer Welt von Intrigen aufgewachsenen Kind einmal die Repräsentantin einer bis 1901 währenden Epoche werden sollte, wie sie die Welt nicht gesehen hatte. Das Einsammeln von Titeln war schon damals ein bevorzugter Sport unter Hochgestellten. 1877, die viktorianische Epoche war längst in vollem Gang, kam die flugs erfundene Kaiserwürde von Indien dazu, die ihr der Chefarchitekt der neuen britischen Weltmacht – der ebenso geschmeidige wie schmeichelkundige Premierminister Benjamin Disraeli – verschafft hatte.

Längst wissen wir, dass auf der viktorianischen Ära äußerst düstere Schatten lagen, wie man vor allem von Charles Dickens lernen kann, nicht zu reden von den vielen Krisen und (Kolonial-)Konflikten einer Zeit, in der vieles sehr modern war, nur nicht die Arbeitsbedingungen der unteren Bevölkerungsschichten. Als aber 1897 das 60. Regierungsjubiläum (Diamond Jubilee) anstand, sollte kein Schatten das festliche Bild trüben. Den in großer Zahl zusammengeströmten Gratulanten war nur allzu bewusst, dass sie gemeinsam mit der geliebten Jubilarin über ein Sechstel der Erdbevölkerung geboten.

Unzweifelhaft und in ihrer Wirkung kaum zu überschätzen sind jene Impulse, die in dieser Ära Industrie, Kunst und Wissenschaft erfahren haben. Das lag nicht zuletzt an Victorias Gatten, Albert von Sachsen-Coburg-Gotha (1819–1861, seit 1857 Prinzgemahl), von ihr liebevoll my dearest Albert genannt. Auf ihn geht die legendäre Weltausstellung in London zurück, die erste ihrer Art, die im ebenso legendären Crystal Palace gezeigt wurde. Vom 1. Mai bis zum 15. Oktober 1851 zählte man über 6 Millionen Besucherinnen und Besucher. Selbst Dickens war das einfach too much. Aber der Reformer Albert hatte begriffen, dass in der Kapitale der führenden Industrienation der Welt Kunst und Handwerk ein fixes gemeinsames Haus brauchten. Schon ein Jahr später wurde das Victoria and Albert Museum gegründet, noch heute das bedeutendste seiner Art weltweit. Und damit nicht genug: Science Museum und Natural History Museum kamen dazu, an der passenderweise Exhibition Road genannten Straße entstand ein erstes „Museumsquartier“ modernen Stils, das in dieser Form keine andere Metropole aufzuweisen hatte.

Wie Victoria die Mutter des Empire war, so ist das „V&A“ die Mutter aller „Kunstgewerbemuseen“, wie sie im deutschen Sprachraum lange Zeit offiziell hießen. Dazu zählen das Oesterreichische Museum für Kunst und Industrie in Wien, das MAK, wie auch das Culturhistorische und Kunstgewerbemuseum in Graz, eben die Kulturhistorische Sammlung im Museum für Geschichte.

Gewebtes Bild mit Darstellung der britischen Königsfamilie: Victoria und Albert mit ihren fünf ältesten Kindern, 1851, nach einem Gemälde von Franz Xaver Winterhalter, KHS, Inv.-Nr. 7076

Der Rummel um die Royals und dazu passende Gadgets sind keine Erfindung unserer Tage. Ein mit dem Bild der Royal Family geschmücktes Baumwollgewebe in der Kulturhistorischen Sammlung zeigt, dass man mit hübschen Familienbildern schon damals zu werben verstand: Victoria und ihr „Engel“ Albert haben ihre fünf ältesten Kinder fast wie zu einem Picknick um sich versammelt, darunter der Prince of Wales, der künftige Edward VII. (1841–1910, Nr. 1) und Gegenspieler Wilhelms II., seines deutschen Neffen, wie auch dessen Mutter Victoria (1840–1901, Nr. 2), die Princess Royal. Wobei alle gespielte Ungezwungenheit nicht darüber hinwegtäuschen kann, dass man sich wie zu einem quasi-offiziellen Fototermin eingefunden hat. Unbestrittener Meisterregisseur solcher Szenen aus der Welt der upper class war der deutsche Porträtmaler Franz Xaver Winterhalter, der zur selben Zeit auch den Hof Napoleons III., die Schokoladenseite des 1870 untergegangenen Second Empire, verewigte – wenigstens in Öl.

Auf Winterhalter geht auch die Komposition unseres gewebten Bildes zurück. Es ist kein Kunstwerk wie die Bildnisse des Meisters, aber ein interessantes Dokument einer Epoche, die in vielem den Weg in die industrielle Moderne gewiesen hat – mit allen Licht- und Schattenseiten. Times are changing.

Kategorie: Museum für Geschichte
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